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1. Jazz-Merkmale --- FÜR DIE SCHULE ERKLÄRT


Wie charakterisiert man Jazz in der Schule? Um welche Merkmale geht es da? Ich habe mir die verschiedenen Schulbücher für den Musikunterricht angeschaut, alles zusammengenommen und ein wenig auf den Punkt gebracht und das ergibt sieben Jazz-Merkmale. Ich zähle sie zunächst auf und erläutere sie dann.

1. Improvisation
2. Swing und Groove
3. persönlicher Ausdruck
4. expressive Klänge
5. flexible Tonhöhen
6. Call and Response
7. Blues-Einfluss

Manche Schulbücher sprechen auch von einer eigenen Jazz-Harmonik. Das ist aber ein problematischer Punkt. Mehr dazu am Schluss.

Diese sieben Merkmale gelten vor allem für die Art von Jazz, die die großen Meister entwickelt haben – besonders Louis Armstrong in den 1920er Jahren, Charlie Parker in den 1940er Jahren, John Coltrane in den 1960er Jahren und in letzter Zeit Steve Coleman. Doch selbst bei ihnen kann einmal ein Merkmal fehlen. Für andere Arten von Jazz gelten diese Merkmale oft nur wenig. „Jazz“ ist ein weiter Begriff. Sehr unterschiedliche Musik wird als „Jazz“ bezeichnet. [Mehr dazu: Link]

Nun zu den einzelnen Merkmalen:


1. Improvisation

Jazz-Musiker sollen nicht einfach etwas Eingelerntes Note für Note wiedergeben, sondern improvisieren, also ihr Spiel spontan gestalten – so wie man in einem Gespräch spontan redet, nicht einen auswendig gelernten Text aufsagt. Große Jazz-Meister sind im spontanen Gestalten so geschickt, dass sie mit ihren Improvisationen auf der Stelle perfekte, kunstvolle Musik schaffen. [Mehr dazu: Link]

Improvisation gibt es in vielen Musikarten der Erde, bis Mitte des 19. Jahrhunderts sogar in der „klassischen“ Musik. Die Jazz-Improvisation hat ihre eigene Tradition und geht bis auf die Musik der Sklaven zurück. [Mehr dazu: Link] Im Jazz bildet die Improvisation den zentralen Teil der Musik. Die Musiker geben sich ein Ausgangsmaterial und improvisieren darüber. Das läuft im Wesentlichen im Jazz ab. Die Improvisationen der Meister fließen wie das Sprechen [Mehr dazu: Link] und werden als eine Art Geschichten-Erzählen verstanden, als „Storytelling“ [Mehr dazu: Link]. Jazz-Improvisation soll spannend wie eine gute Geschichte sein.

Mehr dazu, wie die Jazz-Improvisation funktioniert, im nächsten Video.


2. Swing und Groov

Der Trompeter Louis Armstrong war der erste große Meister des Jazz. Im folgenden Stück hört man, wie er locker und lässig mit dem Rhythmus spielt, ihn dehnt und staucht, wie er antreibt und abbremst, geschickte Bewegungen macht, als würde er tanzen.

          HÖRBEISPIEL: Louis Armstrong and His Hot Seven: Twelfth Street Rag (1927)

Dieses rhythmische Feeling bezeichnete Louis Armstrong als „swingen“ und schon bald wollten alle Jazz-Bands „Swing“ haben. „Swing“ wurde zu einem Modewort. Die ganze Tanzmusik der Bigbands wurde „Swing“-Musik genannt. [Mehr dazu: Link]

          HÖRBEISPIEL: Count Basie: Texas Shuffle (1938)

Der Jazz-Rhythmus veränderte sich im Laufe der Zeit und damit auch die Art zu swingen. Schließlich wurde mehr der Ausdruck „Groove“ verwendet. [Mehr dazu: Link]

In folgender Aufnahme hört man den Bandleader „Groove“ sagen, worauf die Band einsetzt, und man spürt sofort, was damit gemeint ist.

          HÖRBEISPIEL: Steve Coleman and Five Elements: I’m Burnin Up (1995)

„Swing“ und „Groove“ sind keine exakten Begriffe und überschneiden sich. Swing wird zum Teil als eine spezielle Art von Groove verstanden. Bei beiden Begriffen geht es um rhythmisches Feeling, um Gespür für Bewegung. Das kommt aus der afro-amerikanischen Kultur, in der großer Wert auf geschickte Körperbewegung mit Stil gelegt wird. [Mehr dazu: Link]

Manche Leute wollten Swing theoretisch verstehen. Der Schlagzeuger Jo Jones wurde gefragt, was dieser Swing eigentlich ist, und er antwortete: Swing ist wie Schönheit – etwas, das man nicht beschreiben kann. Louis Armstrong erklärte: Wenn Du fragen musst, wirst Du es nie verstehen. Trotzdem wurden Theorien entwickelt, die Swing erklären sollen. [Mehr dazu: Link] Sie sind wenig aussagekräftig, kommen aber in manchen Schulbüchern vor. Es ist da von „Swing-Noten-Paaren“ und „ternärer“ Spielweise die Rede. Ich gehe im übernächsten Video darauf ein – für den Fall, dass das in der Schule gefragt werden sollte.


3. persönlicher Ausdruck

Die Werke der „klassischen“ Musik sind schriftliche Kompositionen, die von Musikern notengetreu ausgeführt werden müssen. Da gibt es wenig Spielraum für persönlichen Ausdruck. In anderen Musikarten ist das anders. Vor allem Sängerinnen und Sänger sollen oft viel persönlichen Ausdruck haben. Im Jazz gilt das auch für die Instrumente, besonders für Solisten. [Mehr dazu: Link] Man erkennt die Meister ähnlich, wie man Bekannte am Telefon erkennt: am Klang, an der Sprachmelodie, am Sprachrhythmus und an den Phrasen, die sie oft verwenden. [Mehr dazu: Link] Einen starken persönlichen Ausdruck haben allerdings nur relativ wenige Meister des Jazz. Die meisten Musiker lehnen sich an Vorbilder an und unterscheiden sich wenig von anderen. [Mehr dazu: Link und Link]


4. expressive Klänge

Als Merkmal des Jazz nennen Schulbücher auch veränderte, verschleierte, unnatürliche Töne, Dirty Tones, Growls (also raue, heisere Klänge). Das ist eine Sichtweise der „klassischen“ Musik, in der die Instrumente immer in derselben reinen Art klingen müssen. Im Jazz werden sie hingegen mehr wie ausdrucksstarke Stimmen gespielt. [Mehr dazu: Link]

          HÖRBEISPIEL: David Murray: The Prophet of Doom (2006)

Das wird im Jazz nicht als schmutzig oder unnatürlich empfunden, sondern als ausdrucksvoll, sinnlich, berührend.


5. flexible Tonhöhen

In der „klassischen“ Musik wird großer Wert auf sauberes, harmonisches Zusammenklingen gelegt. Daher muss in exakten Tonhöhen gespielt werden. Im Jazz besteht dieser Reinheits- und Harmonie-Anspruch nicht. Somit ist eine gewisse Flexibilität der Tonhöhen möglich und das wird für den persönlichen Ausdruck genutzt. Schulbücher sprechen in diesem Zusammenhang von Schleiftönen, Glissandi (also gleitenden Tonhöhen), Smears (verschmierten Tönen), einer Hot Intonation oder Dirty Intonation. Da zeigt sich wieder die Perspektive der „klassischen“ Musik. Was die Jazz-Meister mit flexiblen Tonhöhen und expressiven Klängen erreichen, wird im Jazz nicht als verschmiert oder schmutzig wahrgenommen, sondern als kunstvolle Klanggestaltung mit großer Ausdruckskraft. [Mehr dazu: Link]

          HÖRBEISPIEL: Von Freeman: Bye Bye Blackbird (1977)


6. Call and Response

Also Ruf-und-Antwort. In Bigbands antwortet oft eine Bläsergruppe auf die Rufe der anderen. Zum Beispiel rufen die Blechbläser (Trompeten und Posaunen), und die Holzbläser (Saxofone und Klarinetten) antworten:

          HÖRBEISPIEL: Bennie Moten's Kansas City Orchestra: Lafayette (1932)

Das Ruf-und-Antwort-Spiel gibt es auch in anderen Musikarten. Im Jazz hat es aber noch eine tiefere Bedeutung: In den Bands der Jazz-Meister reagieren Musiker ständig spontan aufeinander. Das ist im Grunde genommen ein dauerndes Rufen und Antworten. [Mehr dazu: Link]


7. Blues-Einfluss

Viele frühere Jazz-Musiker waren stark von der Blues-Musik geprägt. Was sie vom Blues in den Jazz brachten, das sind nach den Schulbüchern vor allem die Blue Notes und das Blues-Schema. Unter Blue Notes werden zwei, manchmal drei Töne der Tonleiter verstanden, die etwas tiefer gespielt werden, als das europäische Notensystem vorsieht. Das Blues-Schema ist eine Liedform mit bestimmten Akkorden. Mehr zu Blue Notes und Blues-Schema im vierten Video.

Der Einfluss des Blues auf den Jazz bestand aber nicht bloß aus Blue-Notes und Blues-Schema. Blues ist die alte afro-amerikanische Volksmusik aus den Südstaaten der USA. Aus dieser Volksmusik kamen ursprünglich alle Jazz-Merkmale, die ich aufgezählt habe, – und noch viel mehr: viel an Ausdruckskraft und grundlegendem Musikgefühl. [Mehr dazu: Link und Link]

Später veränderten sich die afro-amerikanischen Songs und Tanzrhythmen und damit auch ihr Einfluss auf den Jazz. So wurde zum Beispiel die Funk-Musik für den Jazz bedeutend. [Mehr dazu: Link]


Jazz-Harmonik

Manche Schulbücher sprechen von einer eigenen Jazz-Harmonik. Es gibt im Jazz jedoch alle möglichen Tonkombinationen und harmonischen Konzepte, von volkstümlichen bis zu avantgardistischen. Louis Armstrong und John Coltrane verwendeten nicht dieselben – so wie sie auch nicht zu denselben Rhythmen dieselbe Art von Melodien spielten.

Die Jazz-Meister haben einen natürlicheren, mehr melodischen Zugang, gehen mehr davon aus, wie die Musik klingt, als von Theorie – im Gegensatz zu den Musikhochschulen mit ihrer Jazz-Harmonielehre. [Mehr dazu: Link]

Davon ist in den Schulbüchern aber nicht die Rede. Ich würde daher den ganzen Punkt Jazz-Harmonik weglassen, wenn es in der Schule möglich ist.

 

Mehr zu allen Punkten auf meiner Website. Links stehen im Video-Text.

 

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