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JAZZ ESSENZ – 11. Fusion


          HÖRBEISPIEL: Booker Little: We Speak (1961)

Max Roachs Schlagzeugspiel war oft ausgesprochen funky – nicht erst in dieser Aufnahme aus dem Jahr 1961, sondern schon in den 1940er Jahren mit Charlie Parker. Steve Coleman zeigte das anhand des folgenden Stücks, in dem Max Roach nach der Einleitung einen Break spielt, also ein kurzes Solo.

          HÖRBEISPIEL: Charlie Parker: Klact-oveeseds-tene (1947)

Steve Coleman sang das in einem Workshop nach, nachdem er sagte, Max Roach sei eine Art König der Struktur gewesen.

          HÖRBEISPIEL: Steve Coleman: Workshop (2001, Montpellier)

Steve Coleman wiederholte den Break stark verlangsamt, um zu zeigen, wie bestechend und funky die rhythmische Struktur ist.

          HÖRBEISPIEL: Steve Coleman: Workshop (2001, Montpellier)

Max Roach und auch schon manche seiner Vorgänger brachten funkige Elemente in den Jazz ein. Diese funkigen Anteile wurden so integriert, dass die Musik insgesamt ihren swingenden Jazz-Charakter behielt. In den 1960er Jahren begannen manche Jazz-Musiker jedoch, die grundlegend andersartigen Rhythmen der funkigen, rockigen Tanzmusik zu übernehmen – um ein jüngeres Publikum anzusprechen, zum Teil aber auch, weil sie selbst von dieser Tanzmusik zum Jazz kamen. Der simple Backbeat-Rhythmus der Rockmusik wurde im Jazz jedoch lange Zeit gemieden. Stattdessen wurden zum Beispiel lateinamerikanische Einflüsse verarbeitet, wie in folgendem Stück des Trompeters Lee Morgan, das sehr erfolgreich wurde.

          HÖRBEISPIEL: Lee Morgan: The Sidewinder (1963)

Lee Morgan selbst war damit nicht glücklich. Er sagte, er habe so viel hippe Musik gespielt und ausgerechnet dieses belanglose Stück, das dazu diente, ein Album aufzufüllen, wurde zu seinem großen Hit.

Im Aufnahmejahr dieses Stücks, 1963, kam der erst 17 Jahre alte Schlagzeuger Tony Williams zur Miles-Davis-Band und beeinflusste dann stark die Richtung, in die sich die Band entwickelte. Er begeisterte sich für die damalige Free-Jazz-Bewegung, aber auch für Rock- und Popmusik, zunächst besonders für die Beatles, später für härteren Rock. 1969 stieg er aus und gründete eine eigene Band, um – wie er sagte – mit richtig aggressivem Rock-Feeling zu spielen.

          HÖRBEISPIEL: Tony Williams: Emergency (1969)

Kurz danach nahm Miles Davis das Album Bitches Brew auf und leitete damit eine ganze Welle so genannter Fusion-Music ein – Fusionen von Jazz mit Rock und Funk. Diese Welle erreichte tatsächlich viele junge Leute und war kommerziell sehr erfolgreich. Miles Davis selbst gehörte einer älteren Generation an. Sein Anknüpfungspunkt an die Rockmusik war die alte Bluesmusik seiner Jugendzeit, aus der der Rock ja zu einem guten Teil entstanden war. Miles Davis unterlegte seine Musik nun mit rockigen Grundrhythmen und füllte sie mit den damals modernen Sounds von E-Gitarren, E-Pianos und Synthesizern. Er experimentierte mit diesen Sounds, schuf gewaltige Klanggemälde, ließ sich von avantgardistischen Konzepten inspirieren und bemühte sich zugleich um Verankerung in der aktuellen Tanzmusik. Seine Ergebnisse waren eindringlicher, funkiger und anspruchsvoller als die meiste andere Musik der Fusion-Ära. Bitches Brew wurde zu einem der meistgekauften Alben der Jazz-Geschichte. Als bestes Stück des Albums gilt Miles Runs The Voodoo Down. Der Grundrhythmus des Stücks besteht aus einem funkigen Schlagzeug-Muster aus New Orleans und einer einfachen Bass-Figur.

          HÖRBEISPIEL: Miles Davis: Miles Runs the Voodoo Down (1969)

Dazu improvisierten mehrere Musiker gleichzeitig und ziemlich freizügig, sodass eine Art Sound-Dschungel entstand – ein Klangstrom, in dem verschiedene Instrumente immer wieder kurz auftauchen und in den Hintergrund zurücktreten, wie viele kleine Wellen. Durch die harmonische Freizügigkeit wirkt dieses Gewirr aus Klängen anspruchsvoll, obwohl die Grundstruktur einfach ist.

HÖRBEISPIEL: Miles Davis: Miles Runs the Voodoo Down (1969)

Miles Davis spielte ein dramatisches Trompetensolo voller aufwühlender Sounds. Seine melodischen Linien sind ansprechend und weit gedehnt, streckenweise sogar auf einzelne Töne reduziert, sodass Hörer sie leicht mitverfolgen können. Mit seinen expressiven Lauten über einem funkigen Grundrhythmus klingt er ein wenig wie ein Soul-Sänger und zugleich wirkt sein Spiel durch die erweiterte Harmonik abstrakt.

          HÖRBEISPIEL: Miles Davis: Miles Runs the Voodoo Down (1969)

Seine emotionalen Klangfarben und vereinfachten Strukturen machten Miles Davis schon in den 1950er Jahren bei Hörern und Jazz-Kritikern beliebt. Seine Fusion-Music stieß aber auch auf Skepsis, vor allem bei Musikern. Sie bestehe bloß aus modischen Soundeffekten, wurde kritisiert. Ich empfinde das heute ähnlich. Der dschungelartige Klangstrom ist diffus. Er fesselt nicht durch eine kunstvolle Gestaltung, sondern plätschert dahin wie eine psychedelische Berieselung. Miles Davis‘ theatralisches Trompetensolo ist langatmig und karg. Viel eleganteres und reichhaltigeres Trompetenspiel hört man zum Beispiel in folgenden Aufnahmen von Woody Shaw und Booker Little.

          HÖRBEISPIEL: Woody Shaw: The Moontrane (1974)

          HÖRBEISPIEL: Eric Dolphy & Booker Little: Bee Vamp (1961)

Miles Davis und anderen Musikern der Fusion-Ära gelang es, Jazz für viele junge Leute attraktiver zu machen. Das hohe Niveau der kunstvollen, tiefgründigen Jazz-Tradition erreichten sie dabei allerdings nicht. Fusion war ein Kompromiss – auch im Verhältnis zur Tanzmusik: Bitches Brew bietet zwar viel mehr musikalische Eindrücke als James Browns Tanzmusik, ist aber auch wesentlich schwammiger und schwerfälliger. James Brown arbeitete mit begrenzteren musikalischen Mitteln, doch ist seine Musik straff wie eine Bogensehne und seine gestochen scharfen Rhythmus-Geflechte ergeben einen viel dynamischeren Groove.

          HÖRBEISPIEL: James Brown: Mother Popcorn (1969)

James Browns Konzept der ineinander verflochtenen Rhythmen enthielt ein beträchtliches Potential – auch für eine Weiterentwicklung der Jazz-Rhythmik. Die Fusion-Musiker schöpften dieses Potential jedoch nicht aus. Ähnliche Rhythmus-Konzepte aus Kuba und Afrika erkundeten Jazz-Musiker schon lange davor und bereits damals erwies sich eine Übertragung auf den Jazz als schwierig. Mehr dazu im nächsten Video.

Näheres zur Fusion-Music gibt es – wie immer – auf meiner Jazz-Seite nachzulesen. Ein Link steht unter dem Video.1)

 

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