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Steve Coleman Interview, Juli 1999

Fred Jung, My Conversation With Steve Coleman1)
Eigene Übersetzung

 

Interviewer: Lass uns am Anfang beginnen.

Steve Coleman: Ich wuchs in Chicago, Illinois auf. Ich habe nie darüber nachgedacht und denke auch heute nicht darüber nach, ob ich Jazz spiele oder nicht. Es war für mich einfach Musik. Ich begann mit dem Musik spielen, als ich ungefähr 14 war, und irgendwann zwischen 17 und 18 begann ich, das Improvisieren zu lernen. In Chicago gibt es alle Arten von Musik und für mich war es alles dasselbe: einfach zu lernen, wie man Musik spielt. Ich begann, Leute wie Charlie Parker und Von Freeman und Coltrane und Bunky Green zu hören, verschiedene Leute, denn ich wollte improvisieren lernen. Das war die Hauptsache. Ich dachte wirklich nicht, dass ich lerne, wie man Jazz spielt. Ich betrachtete es einfach als Lernen, wie ich mein Horn besser spielen kann, und als Mehr-über-Musik-Lernen. Ich wusste, dass sie höher entwickelte Sachen machten. Es beruhte wirklich einfach darauf. Und das ist so ziemlich das, wo ich heute noch bin. Ich hör mir so ziemlich alle Arten von Musik an. Ich denke, ich bin am meisten an improvisierten Formen interessiert.

Interviewer: Aber warum Jazz? Warum gingst Du nicht in den Rock, er ist besser bezahlt?

SC: Schon als kleines Kind interessierte es mich, etwas herzustellen, Dinge zu gestalten, und so habe ich eine Menge Geschichten gemacht, schon als ich als kleines Kind mit Spielzeug spielte. Ich zeichnete eine Weile. Ich war ein Künstler und dachte mir ein eigenes Comics-Buch aus, Charaktere und so ein Zeug. Das übertrug sich dann einfach auf die Musik. Mein Interesse an der Musik oder daran, wie ich mich durch die Musik ausdrücke, ist zu einem großen Teil mein Interesse als Person. Ich hab das mehr oder weniger einfach auf die Musik übertragen. Improvisation bedeutet eben einfach gestalten, spontan gestalten - und ich war immer an Kreativität interessiert - oder, um es für die Zeit, als ich klein war, auszudrücken: daran, Zeug herzustellen. Das gibt mir die Möglichkeit, ständig Zeug herzustellen.

Interviewer: Wann bist Du nach New York übersiedelt?

SC: Im Mai 1978.

Interviewer: Wie war der Empfang?

SC: Niemand wusste, dass ich da war (lacht). Ich mein, ich kam mit Autostop nach New York und niemand wusste, dass ich komme. Niemand kannte mich. Niemand wusste, dass es mich gab.

Interviewer: Du bist per Autostop nach New York gekommen?

SC: Ja, ich mein, ich wohnte zunächst im YMCA [„Christlicher Verein Junger Menschen“], nachdem ich herkam. Es war nicht so, dass ein Empfang auf mich gewartet hätte (lacht) – keine Spur davon.

Interviewer: Also kein Empfangs-Komitee?

SC: Nein (lacht). Ich spielte eine Zeit lang hin und wieder auf der Straße, tatsächlich 3 oder 4 Jahre lang. - Der Hauptgrund war: Als ich in Chicago war, ging ich in die Innenstadt und hörte mir einige Bands an, die durch die Stadt kamen, und ich bemerkte, dass die Bands aus New York alle besser klangen. Ich mein nicht, dass all diese Typen oder Frauen aus New York stammten, aber sie lebten in New York oder sind irgendwann durch New York gegangen. Ich wusste aus der Vergangenheit, durch das Hören von Aufnahmen, dass New York wichtig war. Eine Menge Leute gingen nach New York wegen der Kreativität dort und allem. Ich dachte mir einfach: „Okay, das ist ein Teil der Rezeptes.“ Die Musiker, deren Spiel ich mochte, sind alle durch New York gegangen. Und die meisten von ihnen stammten nicht aus New York. Es sah so aus, als wäre es notwendig, dorthin zu gehen, und ich dachte mir: „Gut, ich möchte es lernen, wie man auf diesem Niveau spielt.“ Es ist etwa so, wie wenn man auf dem höchsten Niveau Basketball-Spielen lernen will: Dann geht man zur NBA. Das ist eine vergleichbare Sache.

Interviewer: Wann hattest Du also Deinen ersten Durchbruch?

SC: Es ist nicht … es war nicht etwas … es ist ein allmählicher Prozess. Es ist irgendwie komisch, Fred, denn manchmal lese ich diese Bücher, diese Geschichtsbücher und solches Zeug und denke mir, sie vereinfachen die Dinge allzu sehr - hauptsächlich, weil sie das müssen. Sie müssen die Dinge in einem Buch oder Artikel oder was immer komprimieren. - Es war eine allmähliche Sache. Ich kann nicht sagen, dass es einen, bloß einen Durchbruch gab. Es ist eine allmähliche Sache, von der Anfangszeit bis zum Ende. Es gibt mehrere Punkte, viele, viele Dinge, die sich auf diesem Weg ereignen, sowohl bevor ich nach New York kam als auch danach - Dinge, an die ich mich als ausschlaggebende Punkte oder so erinnere. Ich kann nicht sagen, dass es da den einen gegeben hätte. Den ersten Gig, den ich bekam, nachdem ich nach New York gekommen war, und den ich als auf einem professionellen Niveau betrachtete, war im Thad Jones/Mel Lewis Orchester. Das war einer der Gründe, warum ich nach New York kam. In dieser Band zu spielen, das war so zu sagen eines der Dinge, die ich machen wollte, als ich nach New York ging. Das war definitiv eine Schlüssel-Sache, aber es gab auch eine Menge anderer Dinge, die sich danach ereigneten. Das war einfach die erste Sache, die sich ereignete.

Interviewer: Warum in einer Big Band spielen?

SC: Noch einmal, ich ging durch Big Bands, weil das eine Menge Leute, deren Spiel ich mag, gemacht haben. Ich wollte hauptsächlich wissen, warum und was sie daraus gewannen. So spielte ich in der Thad Jones/Mel Lewis Big Band. Ich spielte in Slide Hamptons Big Band. Sie wurde das „Collective Black Artists Orchester“ oder so irgendwie genannt. Ich spielte in Sam Rivers Studio Rivbea Orchester, das eine andere Art von Big Band ist. Ich spielte kurz in Cecil Taylors Big Band und in einer Menge anderer Big Bands. Aber die genannten sind die, von denen ich weiß, dass ihre Namen bei den Leuten bekannt sein könnten.

Interviewer: Es war also ein Sprungbrett?

SC: Ja, und ich erkenne jetzt, dass es eine Menge Dinge gibt, die man in Big Bands mitbekommt, nicht aber in kleineren Gruppen – Phrasierung, Zusammenspiel und Disziplin. Es gibt eine Menge verschiedener Dinge, die im Zusammenhang damit, dass ich in einer Big Band spielte, sehr wichtig waren, denn ich stellte fest, dass sie bei Musikern fehlen, die nicht auch durch diese Erfahrung gegangen sind. Es verschafft einem eine gewisse Sache. Sie ist schwer mit Worten zu beschreiben, aber es gibt eine bestimmte Disziplin, die man erhält, vor allem eine Sache des Phrasierens und man lernt, wie man mit einer großen Zahl von Leuten in einer Gruppe zusammenspielt. Das überträgt sich auf das, was man mit einer kleineren Gruppe macht. Ich wusste immer, dass ich in einem kleineren Format spielen will. Ironischerweise bin ich gerade dabei, mich mit einer eigenen großen Band auf den Weg zu machen, aber diese Tourneen ergeben sich nur hie und da. Das ist nicht das, was ich üblicherweise mache. Ich nenne meine große Band „The Council of Balance“. Wir proben gerade für eine Tournee und werden dann für ein Monat in Europa sein.

Interviewer: Wie schwierig ist die reine Logistik, um ein großes Ensemble zusammenzukriegen?

SC: Ja, es ist eine Menge Arbeit. Neben der Musik, die selbst eine Menge Arbeit ist, allein die Zahl der Parts und das alles und das Sicherstellen, dass alles richtig passt … und dann ist es eine Menge Arbeit, einfach die Leute zusammenzukriegen. Meine Musik ist ohnehin nicht die durchschnittliche Sache, was soll ich sagen, es ist schwer genug, eine große Gruppe zum Spielen zusammenzubringen. Es ist noch schwieriger, allein schon wegen der Anzahl. Wenn man, sagen wir, 3 oder 4 Trompeter und andere Bläser verwendet, ist es einfach schwieriger. Die Gruppe, die ich habe, besteht aus 2 Trompeten, einer Posaune, einem Waldhorn, einem Tenor-Saxofon, Alt-Saxofon, einer Klarinette, Oboe usw., Flöte, Bass, Klavier und Schlagzeug. Ich denke, das ist so ziemlich die Besetzung. Ich mag das eine oder andere Instrument ausgelassen haben. Einige der Leute haben noch nicht viel Erfahrung mit dem Spielen meiner Musik. Es ist schwierig und natürlich auch die Logistik von allem, terminisieren und alles. Manchmal bekommt man nicht die Person, die man haben möchte, und muss daher einen Ersatzspieler verwenden. Das ist einfach Teil des Musikgeschäftes. Der Ersatzspieler kennt vielleicht die Musik nicht so gut, so ist es ein Kampf, das zusammenzukriegen. Und ich als Leiter bin der, der das zusammenkriegen muss. Das ist schwierig.

Interviewer: Du hast den Ausdruck „M-Base“ geprägt, was ist „M-Base“ genau?

SC: Es ist einfach hauptsächlich eine Philosophie, es ist ein Wort, auf das wir uns beziehen … es erläutert grundsätzlich einfach unsere Art, aus unserer Lebenserfahrung heraus Musik zu machen. Aber der Begriff selbst war einfach etwas, das wir verwendet haben, um einfach zu unterscheiden, was wir in unserer Zeit gemacht haben, im Gegensatz zu dem, was jemand anderer in einer anderen Zeit gemacht hat. Wie auch immer, der Prozess ist grundsätzlich derselbe. Wenn ich sage, dass der Prozess grundsätzlich derselbe ist, dann meine ich, was Typen in der Coltrane-Ära gemacht haben, was Coltrane gemacht hat oder Charlie Parker, Duke Ellington. Ich denke, es ist derselbe Prozess. Wir verwenden einfach unsere Erfahrungen, unser Gefühl für die Musik, unseren Rhythmus, unseren Groove, was auch immer. Es ist nach wie vor im Wesentlichen derselbe Prozess. Ich machte nicht einfach … ich mag Begriffe wie „Jazz“ nicht, denn sie bedeuten für mich nicht viel. Die Leute haben vorgefasste Meinungen davon, was das ist, und wenn man dann passt oder nicht passt, dann kommt ihnen vor, dass sie sagen können: „Oh, das ist nicht die Art, wie Jazz gespielt werden sollte“, oder man spiele keinen Jazz.

Interviewer: Hat diese elitäre Mentalität an einer Weiterentwicklung gehindert?

SC: Das meine ich mit dem Verstehen oder Missverstehen, Fred, denn jeder, der wirklich Ohren hat, konnte klar hören, dass das, was ich mache, eine Ableitung von dem ist, was Bird [Charlie Parker] machte. Er ist einer meiner Haupt-Einflüsse. Eigentlich glaube ich, dass er wahrscheinlich mein größter Einfluss ist. In den Augen der meisten Leute ist man aber nicht von jemandem beeinflusst, wenn man ihn nicht Note für Note kopiert, wortgetreu. Sie hören nicht auf den Inhalt. Sie hören bloß auf die Oberfläche. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll, es ist bloß die Dekoration oben auf. Wenn sie einen nicht „Donna Lee“ spielen hören oder so etwas, dann ist das in ihren Augen nicht das, was man macht. Das sagt für mich mehr über unsere Kultur aus als über alles andere. In Amerika sind die Dinge sehr an der Oberfläche orientiert. Wir sind sehr in diesem Schnell-Fixieren und dem Schnell-Dies und dem Schnell-Das drinnen. Die Leute gehen selten in etwas bis zu irgendeinem Niveau hinein, bis zu irgendeiner Tiefe. Man kann das beim Fernsehen sehen, bei allem. Viele Dinge sind nicht so extrem wie das Fernsehen, aber es gibt doch dieselbe Tendenz … Es gibt eine Tendenz, sich einfach mit Mode-Erscheinungen und Dingen auf einer sehr oberflächlichen Ebene zu beschäftigen, schnell weiterzugehen, ohne in irgendeine Tiefe vorzudringen.

Interviewer: Wenn man bedenkt, dass Musik Zeit braucht, um sich zu entwickeln, wie kann dann in dieser Drive-Thru-Welt irgendetwas vorankommen? [Drive-Thru: Durchfahrts-Bedienung eines Fastfood-Restaurants]

SC: Zweifelsohne ja. Musik ist wirklich einfach unsere Leben, in Sound ausgedrückt. Ja, dein Leben braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Es ist nicht etwas, das einfach aus der Luft auftaucht oder so etwas. Und es verändert sich im Laufe der Zeit. Es ist nicht etwas, das man einmal hat und das ist es dann. Man lernt und wächst als Person, hoffentlich. Wenn man eine Person überhaupt mit irgendeiner Art von Tiefe ist, dann wird man weiterhin Dinge erkunden. Man wird weiterhin sich selbst erkunden. Man erkundet weiterhin die Welt, was es heißt, am Leben zu sein, was seine Beziehung zum Universum ist. All das ist etwas, das in Gang gehalten werden sollte. Die Musik ist wirklich einfach eine Spiegelung davon. Ich muss mich selbst immer wieder daran erinnern, dass viele Leute die Musik nicht im Hinblick auf diese Gründe wahrnehmen. Für sie ist Musik möglicherweise Unterhaltung oder so etwas. Sie sehen eine andere Art von Wert. Sie denken von dem, was Du „Jazz“ nennst, vielleicht vor allem als einer Form von Unterhaltung, die wie dies oder das oder wie auch immer ablaufen sollte. Das ist ganz anders als die Art, wie ich die Musik betrachte, Punkt. Ich muss das verstehen, wenn ich eine Kritik an meinem Album sehe. Ich muss zunächst schauen, von wo diese Person herkommt – zu allererst.

Interviewer: Du sprachst vom Unterhaltungs-Wert, der mit der Musik verbunden wird, aber selbst Schauspieler in Hollywood betrachten ihr Werk als Kunst.

SC: Das Problem, das wirkliche Problem ist, um es unverblümt zu sagen: Das wirkliche Problem ist Gier. An der Basis vom meisten schalen Zeug, das abläuft, liegt Wirtschaftlichkeit. Es treibt die meisten Dinge an. Jemand, der auch nur irgendetwas über die Musik-Industrie weiß, jeder Künstler, sogar die, die schales Zeug machen, sie all werden Dir sagen, dass es von Plattenfirmen, von Agenturen, von Klub-Besitzern einen ständigen Druck gibt, alles zu vereinfachen. Ich sage nicht, man soll komplizierte Dinge der Komplexität wegen machen, aber das Leben ist nicht einfach schwarz und weiß. Es ist nicht so. Es ist komplexer als das. Wenn man versucht, etwas zu entwickeln, das deine Erfahrungen als Mensch reflektiert, dann ist das eine komplexe Sache, egal ob in der Malerei oder der Musik, der Schauspielkunst, im Tanz oder was auch immer. Deine Erfahrung als Mensch ist nicht einfach irgendeine einfache Sache. Die Industrie entmutigt einen dabei, denn sie denken, das Publikum sei blöd. Sie unterstellen die Blödheit des Publikums. Geschäftsführer haben mir das frei heraus gesagt. So muss man die Musik für sie vereinfachen, man muss, was immer man macht, für die Leute vereinfachen, denn sonst würden sie es nicht verstehen. Was sie einem aber wirklich sagen, ist, dass wir alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunterbringen müssen, damit wir die höchst möglichen Verkaufszahlen erreichen. Das ist es in Wahrheit, von wo das herkommt. Das ist also der Grund, warum etwas wie Michael Jackson so viele verschiedene Leute auf so einer breiten Ebene ansprechen kann. Es ist allem beraubt, aber es ist die Sache, die jedem liegt. Ich persönlich bin daran nicht interessiert. Ich interessiere mich nicht für das, was jeden interessiert. Es gibt eine ganz andere Gruppe von Leuten auf diesem Planeten. Offensichtlich geht etwas nicht besonders in die Tiefe, wenn es jeden interessiert. Machen wir uns doch nichts vor. So ist es einfach. Und das bezieht sich auf jeden in diesem Land oder jeden auf der Welt. Das ist die Art Sache, die die Musik-Industrie will. Sie wollen Platin-Platten und doppeltes Platin und dreifaches Platin und all das. Das ist der Grund. Schau Dir einfach das Fernsehen an oder das Radio, was auch immer, die Musik, die sich auf dieser Ebene verkauft, hör Dir die Musik selbst an. Ich sage nicht, es wäre keine gute Musik. Aber ich sage, dass sie auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner heruntergebracht ist. Das ist alles, was ich sage. Wenn es das ist, was man will, fein. Es gibt selbst einiges an Pop-Musik, die ich gehört habe, das ich mag usw., für einen Moment. Aber es ist nichts, von dem ich wirklich leben kann. Es wäre wie, immer dasselbe zu essen. Ich möchte keine falsche Vorstellung hervorrufen. Ich überlebe. Ich hab ein gutes Auskommen. Ich bin zwar kein Millionär oder irgendwas von dieser Art, aber man ist ganz zufrieden, wenn man das Zeug richtig strukturiert und nicht zu sehr in Exzesse verwickelt ist, in Drogen oder Alkohol oder was auch immer. Man kann letztlich seinen Lebensunterhalt bestreiten. Tatsächlich ist dieses Land und diese Welt, bezogen auf die westlichen Länder, sehr reich. Dieses Land ist ein sehr reiches Land. Die westlichen Nationen haben eine Menge Dinge. Ich will nicht sagen, sie haben von allem viel, aber sie haben eine Menge an materiellem Besitz. So fand ich es nie besonders schwierig, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, egal was ich machen wollte. Selbst wenn ich ein Millionär werden wollte, was ich nicht will, dann glaube ich, dass das nicht so schwer wäre. Um die Wahrheit zu sagen, Fred, ich denke, das ist wesentlich leichter als das, was ich jetzt mache. Es gibt eine Menge Idioten, die eine Menge Geld haben [lacht]. Ich glaub nicht, dass das so schwierig ist, wenn das dein Ziel ist und das, was man tun möchte. Ich bin durchaus nicht unglücklich mit dem, wo ich bin, und ich bin auch überhaupt nicht neidisch gegenüber den Leuten, die die finanziellen Mittel eines Bill Gates haben. Das ist gut, denn was für mich wichtig ist, ist zu versuchen, eine höhere Ebene zu erreichen, im Hinblick auf den Versuch, die Dinge durch die Musik auszudrücken, und das ist die Sache, die ich schwierig finde. Darum strebe ich weiterhin oder arbeite weiterhin, wie Du sagst. Das ist für mich die wirklich schwierige Sache. Es ist auch die seltene Sache, wenn ich mir anschaue, wie viele Leute das in der Vergangenheit zustande gebracht haben. Es ist sehr selten.

Interviewer: Du machst das seit langem, Steve, glaubst Du, Du hast diesen Höhepunkt erreicht?

SC: Nein, nein, absolut nicht.

Interviewer: Glaubst Du, dass Du jemals dorthin gelangen wirst?

SC: Ich denke, die Sache, der ich nachgehe, ist nicht so sehr ein Ding, das man erreicht, wie ein Topf am Ende eines Regenbogens. Es ist mehr ein Weg, auf dem man ist. Für mich ist der Haupt-Punkt … Wenn ich jemanden wie John Coltrane sehe, von dem ich weiß, dass er mit seiner eigenen Sache nicht zufrieden war ... Ich sehe eine Person auf einem bestimmten Weg. Ich sehe nicht wirklich so sehr … von meinem Standpunkt aus … Er mag ein bestimmtes Niveau erreicht haben. Es mag ein bestimmtes hohes Niveau geben, das er erreicht hat usw., aber mehr als das sehe ich, dass er auf einem bestimmten Weg war, in einer bestimmten Richtung, in einer bestimmten Weise, und er hat sein Leben in einer bestimmten Weise gelebt. Sein Ziel betraf mehr die Suche als das tatsächliche Finden. Es versetzte einen einfach in einen bestimmten Modus, in eine bestimmte Mentalität. Es geht mir mehr um das. In dieser Hinsicht, ja, ich glaube, ich bin auf diesem Weg, aber ich kann es noch viel besser machen, als ich es mache. Deshalb bemühe ich mich weiterhin darum, um es auf einem höheren Niveau zu machen.

Interviewer: Lass uns über Dein neues Album auf RCA Victor „The Sonic Language of Myth: Believing, Learning, Knowing“ sprechen!

SC: Es ist ein Five Elements Album. Es sind erweiterte Five Elements. Ich verwende fast immer besondere Gäste. Ich glaube, ich hab auf fast allen meiner Alben einen besonderen Gast verwendet, und ich meine damit Leute, die nicht Teil meiner Gruppe sind. Auf diesem einen Album ist die Haupt-Gruppe, der Kern der Gruppe tatsächlich ziemlich klein. Er besteht aus mir, Antony Tidd am Bass, Sean Rickman am Schlagzeug, Miguel „Anga“ Diaz, einem kubanischen Perkussionisten, und Rosangela Silvestre, die eine Tänzerin ist. Sie liest einige Gedichte auf der Platte.

Interviewer: Es ist manchmal ein zweischneidiges Schwert, besondere Gäste zu verwenden, denn es hat die Tendenz, der Gesamt-Chemie der Session zu schaden. Und das Publikum ist gegenüber den Zugpferden, die eingebracht werden, um der Aufnahme zusätzliches Gewicht zu verleihen, skeptisch. Wie nutzt Du also die besonderen Gäste und vermeidest diese Fangstricke?

SC: Ich wähle Leute aus bestimmten Gründen, nach dem, was sie einbringen, und außerdem sind es Leute, mit denen ich früher bereits gearbeitet habe. Natürlich gibt es immer ein erstes Mal, wenn man mit jemandem arbeitet. Aber normalerweise sind es Leute, mit denen ich auf die eine oder andere Weise verbunden war. Ich bringe sie nicht bloß für die Aufnahme ein. Sie sind keine Leute mit großem Namen oder so etwas. Es sind gewöhnlich einfach Leute, von denen ich weiß, dass sie etwas in die Musik einbringen können. In diesem Fall verwendete ich 2 verschiedene Tenorsaxofonisten: Ravi Coltrane spielte beim meisten Zeug mit und Craig Handy spielte bei einer Sache. Ravi Coltrane war auch in meiner Gruppe. Er hat einiges Five-Elements-Zeug gemacht. Ralph Alessi auf der Trompete, der auch einiges mit mir gemacht hat. Und Shane Endsley, das ist ein weiterer Trompeter, der einiges mit mir gemacht hat. Tim Albright auf der Posaune Er hat auf 2 oder 3 meiner Platten mitgespielt. Vijay Iyer, Robert Mitchel und Jason Moran an Klavier und Keyboards an verschiedenen Stellen der Platte. Vijay hat mit mir bereits früher Sachen gemacht. Bei Jason war es das erste Mal, dass ich ihn verwendet habe. Stefon Harris auf dem Vibraphon. Das war das erste Mal, dass ich überhaupt ein Vibraphon verwendet habe. Reggie Washington am Bass, der früher 8 Jahre lang in den Five Elements spielte. Und dann verwendete ich einige Streicher: Todd Reynolds, Mary Rowell, David Gold, Dorothy Lawson, Sara Perkins. Das war das erste Mal, dass ich mit ihrer Gruppe „Hazardous Material“ zusammenarbeitete. Und dann verwendete ich einige Stimmen. Es war das erste Mal, dass ich einen kleinen Chor verwendete, tatsächlich war es ein Quartett: Erik Charlston, Bariton, Eugene Palmore, Tenor, Jeanne Ricks, Alt und Karen McVoy, Sopran. Wenn ich also „erweitert“ sagte, so gab es da eine Menge Leute. Aber man kann die 5 Streicher und die 4 Stimmen als eine Gruppe, als eine Section betrachten.

Interviewer: Ein kleiner Vogel erzählte mir, dass Du ein Computer-Programm entwickelt hast, das improvisiert.

SC: Ja. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich hab seit ungefähr 1986 mit Programmen herumprobiert, würde ich sagen. Ich würde sagen, ich hab begonnen zu versuchen, Computer zu programmieren. Das Programm, das ich entwickelt habe, ist wiederum nicht eines der fertig produzierten Dinge. Es ist eine sich ständig entwickelnde Arbeit. Ich habe das Programm im Laufe der Jahre ein wenig unterschiedlich bezeichnet, jetzt nenne ich es „Rameses“. Das ist der Name, den ich jetzt benutze. Die Leute tendieren dazu, ihren Computer-Programmen Namen zu geben. Es ist bloß Software. Es lief seit 1986 auf verschiedenen Computer-Typen. Jetzt ist es auf einem Macintosh. Aber als ich es ursprünglich entwickelte, lief es auf einem Commodore 64. Auf was es läuft, zeigt einfach, wie viel Geld ich zurzeit habe. Der Commodore war ein billiger Computer, so lief es darauf. Wir gaben gerade ein Konzert in Paris mit den Five Elements und diesem Programm. Das Computer-Programm war einer der Mitglieder der Gruppe.

Interviewer: Wie hat das für Dich funktioniert?

SC: Es hat gut funktioniert. Ich plane, damit bald eine Aufnahme zu machen. Es funktionierte so gut, dass ich eine Platte machen möchte. Eine Menge Musiker sind ziemlich überrascht, wie es klingt, denn es improvisiert. Es hört auch zu, nicht im Sinne von Ohren, aber es läuft darauf hinaus. Es hört auch auf das, was Musiker machen können und beantwortet das. Es bringt auch selbst Ideen hervor. Und wir beantworten es, so ist es eine Art wechselseitige Kommunikations-Sache.

Interviewer: Ich bin mir sicher, es wird viel Stirnrunzeln verursachen.

SC: Das tat es in Paris. Es hat Stirnrunzeln verursacht, aber es ist etwas, das ich im Untergrund mache. Es ist nicht etwas, das ich herausstelle. Wenn Du mich nicht danach gefragt hättest, Fred, hätte ich nie ein Wort darüber verloren. Es ist nichts, was ich wirklich herausstelle. Es ist etwas, das ich nebenbei mache und das ich schon lange mache – über 10 Jahre lang. Ich habe es die ganze Zeit über gemacht. Es gibt eine Menge Dinge, die ich mache, das ist nur eines davon. Es gibt auch eine sehr mystische Seite bei vielem, was ich mache. Das ist ebenfalls vorhanden, aber noch einmal, ich erwähne es nicht, es sei denn, jemand bringt es zur Sprache. Nochmals, es geht irgendwie zurück auf diese Idee, was Musik für viele Leute ist. Einige der Dinge, die ich mache, werden seit langer Zeit von vielen Leuten gemacht. Ich habe diese Ideen nicht unbedingt geschaffen. Mit einer Menge mystischem Zeug war bereits Duke Ellington befasst. Genauso Coltrane. Viele Leute machen diese Sachen bereits seit langem. Es ist bloß so, dass die Leute, die über diese Musik geschrieben haben, beschlossen haben, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Und so ist die Vorstellung des Publikums, wovon die Musik handeln soll, nicht von den Musikern selbst bestimmt, sondern von den Biographen, Kritikern und wem auch immer - von Leuten, die die Macht über die Worte haben. Und ich denke, dass es deshalb eine Menge Elemente in dem gibt, was Leute wie Charlie Parker gemacht haben, die nicht wahrgenommen werden. Es gibt einige Musiker, die darüber Bescheid wissen, denn es gibt Leute, die mir davon erzählt haben. Viele dieser Dinge erfuhr ich von älteren Musikern, die mich zu diesen Ideen brachten. Sie sagten: „Der oder der macht das. Das ist es, was sie machten.“ Und ich sagte: „Oh, also das ist es, was sich abspielte.“ So versuche ich, Dinge auf meine eigene Weise zu machen.

Interviewer: Ich will Dich nicht in eine Ecke stellen, aber ich glaube nicht, dass ich hier allein da stehe, wenn ich sage, dass Deine Musik Underground ist. Durch die Tatsache, dass Du nicht viele Interviews gibst, weichst Du nicht von Deinem Weg ab, Dich selbst zu publizieren; es gibt keinen Hype hinter Deiner Musik. Nachdem ich das gesagt habe, frage ich Dich: Was soll Deine Musik nach Deiner Erwartung zum gesamten Kontinuum beitragen?

SC: Das ist eine gute Frage. Ich versuche jetzt, wie ich es in Worte fassen kann. Ich versuche, es in knapper Form auszudrücken. Für mich ist diese Musik – um es im Sinne einer menschlichen Perspektive auszudrücken – eine positive Sache. Ich denke, die Schöpfer dieser Musik verstanden sie als eine Streitmacht für Kreativität und für positive Dinge. Viele Musiker haben das ausgesagt. Ich denke, sie hat bewusstseinserweiternde Möglichkeiten. Das ist die Wirkung, die sie auf mich hatte. Ich habe nicht immer diese Art von Musik gehört. Ich hörte früher selbst Musik mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner – einfach das, was im Radio lief, und die Musik, der ich sonst ausgesetzt war. Aber irgendwann kam ich mit einer Musik in Berührung, die – ohne allzu abgehoben zu klingen – von höheren Schwingungen kommt, mit der Musik, die sich mit den realeren Elementen des Lebens beschäftigt. Das ließ mich über verschiedene Dinge anders denken. Viele Leute kamen daher und haben mir erzählt, dass meine Musik ihr Leben verändert habe oder so. Ich habe unzählige Male gesehen, wie John Coltranes, Charlie Parkers und Duke Ellingtons Musik das bewirkte. Ich habe erlebt, wie sie Menschen veränderte und wie sie auch mich veränderte. Sie hat eine positive Wirkung, bewusstseinserweiternde Möglichkeiten und eine Tendenz, Menschen emporzuheben zu – das ist schwer zu beschreiben – zu einer Art Erkennen ihrer angeborenen Größe. Ich möchte nicht schmalzig wirken, aber ich denke, dass der Zweck menschlicher Wesen ein höherer ist, als umher zu gehen und einander auf den Schädel zu hauen. Ich denke, dass diese Musik einen über diese Dinge nachdenken lässt und dass sie die Saat pflanzt, denn alles beginnt mit Schwingungen. Sie pflanzt die Saat für ein Wachsen zu einer höheren Verwirklichung dessen, was wir sind. Das ist es, was ich letztlich mit dieser Musik anstrebe. Ich fühlte, dass all die Leute, die erfolgreich wurden - egal ob es Beethoven, Bartok, Charlie Parker oder wer auch immer war, gleichgültig in welchem Stil und in welcher Kunst - nach dieser bestimmten Sache gestrebt haben. Daneben waren sie technisch großartig und all das. Das ist ebenfalls gut, aber das ist für mich mehr eine normale Sache. Man muss nur Übung haben und weiter üben und diszipliniert sein. Es gibt eine Menge Leute in New York, die großartige Musiker sind. Ich respektiere sie alle. Es gibt da eine Menge großartiger Musiker. Worüber ich jetzt spreche, ist aber etwas anderes. Normalerweise schließt es das mit ein, nicht immer, aber es ist ein bisschen etwas anderes. Es ist etwas, das einen auf einen höheren Ort bringt. Es ist nicht einfach das Bewundern deiner Technik. Ein perfektes Beispiel ist für mich Art Tatum. Er war jemand, der eine fantastische Technik hatte, mehr als die meisten, die ich jemals hörte. Ich kann mir im Moment gar niemand Vergleichbaren vorstellen. Aber gleichzeitig hatte seine Musik das gewisse Etwas, das das, was er machte, auf eine andere Ebene hob. Ich kenne eine Menge Leute, die diese besondere Sache nicht haben. Es geht nicht um die Technik, die Charlie Parker hatte, oder so etwas. Die Leute beziehen sich in vielen unterschiedlichen Weisen darauf. Sie nennen es „Soul“ oder wie auch immer. Es ist etwas, das schwer erfassbar ist. Es ist gewöhnlich nicht sofort offensichtlich. Es ist etwas, das in der Zeit, in der es geschaffen wird, von den Zeitgenossen normalerweise nicht im gleichen Licht gesehen wird, wie man es später zu sehen lernt. Es ist etwas, das gewaltig ist, so wie Coltranes Musik. Man hasst es oder liebt es. Es lässt kein Feld dazwischen zu, denn es ist so gewaltig und trifft einen mit solcher Wucht, dass man entweder völlig mitten drinnen ist oder nichts damit anfangen kann. Es mag für einen zu stark sein, einfach zu viel. Ich strebe nach dieser Art von Dingen, die im Bewusstsein explodieren.

Interviewer: Beende es, ich bin’s.

SC: Ich bin? Das braucht kein Beenden. Ich bin, Punkt. Ich bin, damit ich bin.

 

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  1. Original auf Steve Colemans Internetseite, Internet-Adresse: http://m-base.com/interviews/my-conversation-with-steve-coleman/

 

 

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