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Wildheit


„Es gibt Leute, die den Begriff ekstatisch gern auf afrikanische Musik anwenden, aber es gibt wohl kaum ein Wort, das weniger geeignet wäre, afrikanische Musik im Allgemeinen zu beschreiben. […] Ekstase in unserem Sinne würde für die meisten Afrikaner eine Trennung von allem bedeuten, was gut und schön ist, und ganz grundsätzlich wird ja der Verlust von Kontrolle und Selbstkontrolle als geschmacklos, lächerlich oder gar sündhaft angesehen.“
1) (John Miller Chernoff)

Auch vom Jazz wurde im Laufe seiner Geschichte immer wieder Wildheit und Ekstase erwartet: Was zu Beginn der 1920er Jahre als „Jazz“ nach Europa (zunächst vor allem nach Paris2)) kam und zur Attraktion wurde, war zu einem großen Teil pure Show mit Radau3) und dem exotischen Reiz der afro-amerikanischen Erscheinung der Musiker4). Unter „Jazzband“ wurde vor allem der Schlagzeuger verstanden. „Er saß im Allgemeinen vor dem Orchester und hatte all diese Dinger zum Erzeugen von Lärm um sich herum, Kuhglocken und so weiter. Gewöhnlich warf er auch mit den Stöcken um sich, manchmal streckte er sogar die Zunge heraus.“5) Ein afro-amerikanischer Musiker berichtete: „Das Schlagzeug machte gewöhnlich einen derartigen Lärm, dass ich mich wunderte, wie die Leute danach tanzen konnten. Denn es gab überhaupt keinen Rhythmus.“6) Jedoch trat bereits damals auch zum Beispiel der versierte Klarinettist7) Sidney Bechet mehrmals in Paris auf.8) Einheimische Künstler und Intellektuelle entdeckten dort im Laufe der 1920er Jahre den Jazz für sich, „feierten ihn als Ausdruck natürlicher Ursprünglichkeit, als Musik des Volkes, und betrachteten seine Urheber als eine Art von guten, unverdorbenen Primitiven“.9) Diese Sichtweise entsprach dem Fantasiebild des „edlen Wilden“, das in der europäischen Literatur eine lange Tradition hat und einer Unzufriedenheit mit der eigenen Kultur entsprang, nicht einem Interesse an einer fremden. Es blendete die wirkliche Situation des „edlen Wilden“ aus, idealisierte ihn einerseits, betrachtete ihn andererseits aber mit der Haltung des Kolonialismus als kulturell und intellektuell unterlegen. Afro-Amerikaner boten schon durch ihre Hautfarbe, die eine Verbindung zum „dunklen“, „geheimnisvollen“ Afrika signalisierte, einen Ansatzpunkt für solche Vorstellungen, zumal außer-europäische Verhältnisse damals viel weniger durch Medien präsent waren.

Das Bild des „edlen Wilden“ passte perfekt zur Rolle, die Louis Armstrong annahm. Als er Anfang der 1930er Jahre erstmals nach London kam, erschien er „einigen Journalisten und einem großen Teil der Zuhörer (von denen viele noch nie einen schwarzen Musiker gesehen hatten) mit seiner Sprache, in seinem Verhalten, in seiner Musik als Inbegriff des Primitiven.10) Armstrong spielte auf charmante Weise mit diesem exotischen Reiz seiner Erscheinung und gab damit seiner Musik einen Rahmen, der ihren Zauber unterstützte. So sieht man ihn zum Beispiel in einer Filmaufnahme aus dem Jahr 193311) in Kopenhagen das wilde Stück Tiger Rag mit folgenden Worten ankündigen: „Meine Damen und Herren, wir unternehmen nun eine kleine Reise in den Dschungel …“. Ein Jahr zuvor wurde in den USA ein kurzer Musikfilm mit Armstrong gedreht12), in dem seine Rolle des Primitiven einen wesentlich unangenehmeren, nämlich rassistischen Charakter hat: Er spielte (in der Art der Minstrelshows) einen Tölpel in einem „Neger-Himmel“, wo er mit einem Leopard-Fell bekleidet sich lachend und grölend in Rage singt, weil ihm (nach dem Text des Lieds13)) jemand seine Frau ausgespannt hat – eine verrückte, überdrehte, peinliche Show. Dasselbe Lied sang Armstrong damals auch in einem Zeichentrickfilm14), in dem sein Gesicht als eine Art afrikanisches Ungeheuer erscheint, das amerikanische Touristen jagt. Armstrong spielte diese erbärmlichen Rollen zwar mit so viel (hintergründigem15)) Witz, dass fraglich wird, wer hier über wen lacht. Letztlich verdeckte die witzige, „liebenswert-lächerliche Figur“16), die er abgab und als die er sich durch das rassistische, kriminelle17) Musikgeschäft schlug, jedoch seine wahre Größe und Bedeutung als Musiker.18)

Im Gegensatz zur Urwüchsigkeit Armstrongs war die Exzentrik des erfolgreichen Sängers und Orchesterleiters Cab Calloway19) modern und großstädtisch. In alten Filmaufnahmen20) sieht man ihn in weißem Frack mit auf die Spitze getriebenem Styling, umgeben vom Glamour einer chicen Abendgesellschaft ein überdrehtes Außer-sich-Sein inszenieren: Er wippt, hüpft, fuchtelt mit dem Taktstock, schüttelt den Kopf, dass die Haare fliegen, schneidet Grimmassen und singt mit übersteigertem Ausdruck – scheinbar aus purer Wildheit und Verrücktheit. Demonstrative Ausgelassenheit ist auch in Filmaufnahmen von einigen anderen afro-amerikanischen Bands des Showgeschäfts zu finden21), während die Leiter erfolgreicher „weißer“ Jazzbands offenbar betont seriös auftraten.22) Außer Rand und Band zu sein, passte nach bürgerlichen Vorstellungen wohl zu den aus dem afrikanischen „Urwald“ abstammenden „Negern“ (ob in Fell oder Frack gekleidet)23), nicht jedoch zu zivilisierten „Weißen“. Junge, „weiße“ Jazz-Fans übertraten mit ihrer Begeisterung für afro-amerikanische Musik stets ein wenig die bürgerlichen Normen einschließlich der Rassentrennung. Dieses nonkonforme Verhalten mag für manchen von ihnen einen Reiz gehabt haben, für viele andere jedoch etwas Bedrohliches. Für sie boten wohl die „weißen“ Musiker, die sich um eine mit bürgerlichen Maßstäben vereinbare Variante des Swing-Entertainments bemühten, eine Lösung des Konflikts. Ein charakteristisches Beispiel dafür zeigt eine Filmaufnahme von der Jimmy-Dorsey-Bigband und einer in Weiß gekleideten, mit einem Kreuz als Anhänger geschmückten Sängerin24), die von den wilden Rhythmen im (afro-amerikanischen) Harlem singt, ohne dass die Musik dem Refrain und Titel des Stückes „Mann, ist das groovy“ (übersetzt) auch nur ansatzweise gerecht würde. In einem anderen Musikfilm tanzt ein Publikum zu dem von Artie Shaw und seiner Bigband gespielten Stück Everything is Jumpin' („Alles springt“) in bewegungsarmem, steifem und daher wohl als „zivilisiert“ empfundenen Paartanz.25) Der Songschreiber und Sänger Hoagy Carmichael lässt sich in einem Film aus dem Jahr 1939 zunächst von einem ergebenen, dümmlich wirkenden afro-amerikanischen Butler in das Jackett helfen, bevor er mit Jack Teagarden und seinem Orchester eine Mischung aus spießiger Steifheit, Schmalz und Arroganz aufbereitet, zum Teil zu Bildern von schwerfällig, einfältig und faul erscheinenden Afro-Amerikanern in einer romantisch verklärten Südstaaten-Atmosphäre.26) Zum „King of Swing“ wurde für das „weiße“ Publikum der „weiße“ Benny Goodman, wozu auch die Show seines Schlagzeugers Gene Krupa beitrug, der mit hochgezogenen Schultern, wilden Bewegungen, zerzausten Haaren und verzerrtem Gesichtsausdruck publikumswirksame Schlagzeug-Soli spielte und damit zum Star wurde. Seine „Jazz-Ekstase“27) war durch das Benny-Goodman-Orchester in einen Rahmen eingefügt, der als seriös genug befunden wurde, um schließlich Einlass in die altehrwürdige Carnegie-Hall zu finden, wo Goodman im Jahr 1938 einen spektakulären Triumph des Swing feierte.

Die Fragwürdigkeit von Gene Krupas Spiel wird unter anderem28) in folgender Aussage des ebenfalls „weißen“ Schlagzeugers Stan Levey deutlich: „Das Wichtigste, das ich von Dizzy Gillespie gelernt habe, ist, dass das Schlagzeug ein Musikinstrument ist. Vorher waren diese lauten Schlagzeuger wie Gene Krupa im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gestanden. Natürlich waren die gut, aber es war vom Standpunkt eines Schlagzeugers her gesehen irgendwo eine unmusikalische Situation.“29) Neben und auch schon vor den „lauten Schlagzeugern“ gab es durchaus auch andere, die auf subtile Qualitäten Wert legten, zum Beispiel Baby Dodds, dem bedeutendsten Schlagzeuger des New-Orleans-Jazz.30) „Er schlug Trommeln nie hart oder wild […]. Sein Spiel war scharf und klar, ohne das Rumpeln, das Schlagzeuger oft auf der Bass-Trommel hervorbringen. Baby glaubte, dass der Schlagzeuger das Beste aus jedem der anderen Musiker und aus der Gruppe als Ganzem hervorholen sollte. […] Eine andere Eigenschaft des New-Orleans-Jazz, auf die Baby immer wieder zurückkam, war Lockerheit. Hektischer, angespannter Jazz war seiner Natur und Herkunft völlig fremd. Baby glaubte, dass die Musiker entspannt sein müssen, um hochwertigen Jazz zu produzieren.“31) In Baby Dodds Kunst ging es also um Qualitäten einer verfeinerten Groove-Kultur. Westliche Bildung stellt für solche Qualitäten kein Verständnis bereit32) und so entgingen sie vielen Swing-Fans aus bürgerlichem Haus. Stattdessen boten die „lauten Schlagzeuger“ dem breiten, überwiegend jugendlichen Publikum des Swing effektvolle Dramatik und ließen so die intensive Rhythmik, den Körpereinsatz und die Expressivität des Jazz als eine Form von „Ausflippen“ erscheinen. Den Unterschied zur Groove-Ästhetik veranschaulicht ein Vergleich alter Filmaufnahmen von Gene Krupa einerseits und dem afro-amerikanischen Schlagzeuger Jo Jones andererseits.33) Beide zogen mit ihrer Körpersprache eine Show ab, sie drückten dabei jedoch Unterschiedliches aus: Gene Krupa Wildheit, Hektik, Ekstase, Jo Jones die Geschmeidigkeit und Geschicklichkeit eines Tänzers (er war sogar ursprünglich selbst Stepptänzer).

Der Bebop-Musikerkreis der 1940er Jahre entzog sich den Zwängen des Showgeschäfts und konzentrierte sich auf die musikalische Entwicklung, was dazu führte, dass die Musik für ein Massenpublikum zu kompliziert wurde. Allerdings löste Dizzy Gillespie eine Art Modewelle aus34), die der Bebop-Bewegung erhebliche Aufmerksamkeit, aber auch viel an Missverständnis eintrug. Er lehnte zwar die Unterwürfigkeit Louis Armstrongs ab35), nahm ansonsten jedoch selbst die Rolle des Spaßmachers an, mit der der Jazz in der Vergangenheit häufig einem größeren Publikum vermittelt wurde.36) Auch Gillespie gebärdete sich dabei wild – zwar nicht „primitiv“, aber unberechenbar, außer Rand und Band, „schwindlig“ – „dizzy“.37) Sein ausgeflipptes Auftreten faszinierte viele junge Leute und Bebop wurde zu einem Bestandteil der aufregenden Gegenwelt, die sie sich schufen, um sich den spießigen Verhältnissen, aus denen sie stammten, zu entziehen. Die Presse regte sich darüber auf. Zum Beispiel berichtete das Time-Magazin im März 1946 von „geckenhaften Negermusikern, die in Ekstase geraten, und von unzüchtigen Texten, die voll von Anspielungen auf Drogen und Sex seien, sowie über Teenager, die sich Nacht für Nacht in den Nightclubs herumtreiben und sich beboppen lassen“38). Entgegen des in der Öffentlichkeit entstandenen Eindrucks war Gillespies Musik jedoch keineswegs chaotisch, verrückt oder unkultiviert. Auch war sie kein Protest gegen das Establishment, kein purer Kick, kein ungezügeltes Ausleben oder was auch immer an jugendlichem Widerstand in sie hineinprojiziert wurde. In Wahrheit war Gillespie ein ausgesprochen verlässlicher, seine Angelegenheiten geschickt organisierender Musiker39), ein technisch besonders brillanter Trompeter und kenntnisreicher Gestalter seiner Musik. Archie Shepp40) sagte 1993: „Ich habe kürzlich drei Stunden lang Dizzy Gillespies Musik gehört, die sie aus Anlass seines Todes im Radio spielten. Und ich war davon so beeindruckt, dass ich zugeben möchte, dass ich in den letzten Jahrzehnten keinen Trompeter gehört habe, der so spielen konnte wie er. Das war mir zuvor nicht bewusst. Ich möchte noch weiter gehen: Ich kenne keinen Musiker aus dem Feld seiner musikalischen Sprache, der je irgendetwas gespielt hat, was Dizzy nicht schon vor ihm machte.“41) Diese Bedeutung Gillespies wurde von seinem Image als Spaßvogel oft überschattet. Schließlich meinte er in seiner Autobiographie selbst: „Wir hatten so viel Spaß, dass wir bei jedem Blödsinn mitmachten und bei all diesen Gelegenheiten das Wichtigste, nämlich die Musik, in den Hintergrund drängen ließen. Dass schließlich der Eindruck entstand, der Bebop wäre nichts weiter als eine verrückte Modetorheit, daran waren wir selbst nicht unschuldig. […] Kurz danach sagte Duke Ellington mir: Birks42), du hättest nie zulassen dürfen, dass sie die Etikette Bebop auf deine Musik kleben! Erst viel, viel später verstand ich, was er gemeint hatte.“43)

Gillespies Kollege Charlie Parker zog ungewollt andere Klischee-Vorstellungen auf sich: Seiner überragenden Kreativität als Musiker stand eine selbstzerstörerische Exzessivität in seinem sonstigen Leben gegenüber und das lies bedenkliche Kombinationen aus Geniekult und Spektakel um seine Tragik entstehen, wie folgende Geschichte zeigt: Bei einer Schallplattenaufnahme im Juli 1946 war Parker aufgrund seiner Drogensucht in einem entsetzlichen Zustand44) und nach einigen Stücken stellte der Aufnahmeleiter Ross Russell fest, dass diese Aufnahme-Session ein „totaler Reinfall“ ist45). Ein damals anwesender Journalist schrieb danach eine Kurzgeschichte46), in der er die furchtbaren Umstände dieser Aufnahme-Sitzung (mit geänderten Namen) schilderte. Diese Geschichte erschien in einer renommierten Zeitschrift47) und wurde mit einem Literaturpreis ausgezeichnet. Ross Russell veröffentlichte daraufhin die bei dieser Session aufgenommene Ballade Lover Man gegen den Willen Charlie Parkers, der sein damaliges Spiel als misslungen und beschämend betrachtete und Russell die Veröffentlichung nie verzieh.48) Später, lange nach Parkers Tod, verfasste Russell eine der meistbeachteten49) Parker-Biographien und glorifizierte darin die Lover Man-Aufnahme. Nach seiner Interpretation hätte bei dieser Aufnahme Parkers Genie aus der Tiefe seines Herzens gesprochen und ein Kunstwerk hervorgebracht, während er in einem fast bewusstlosen, tranceartigen Zustand war.50) In Wahrheit zeigte sich vielmehr, dass Parker seine musikalische Sprache so traumwandlerisch beherrschte, dass er trotz seiner erbärmlichen Verfassung noch einigermaßen improvisieren konnte. Wenn in der verminderten Brillanz seines Tons und seines Spiels die Offenbarung einer gequälten Seele gesehen wird, dann macht das lediglich deutlich, wie leicht sich Musik von Hörern mit emotionalen Bedeutungen aufladen lässt. Parker verstand die Lover Man-Aufnahme jedenfalls nicht als Ausdruck seiner Seele, sondern schlicht als misslungen51) und Miles Davis meinte, Parker habe damals „kaum noch einen vernünftigen Ton“ spielen können52). Das traurige Ereignis wurde zu einer „symbolischen Geschichte über die kulturelle Ausbeutung von Künstlern, deren Werk nicht ihnen selbst, sondern Geschäftsleuten gehört“.53) Dennoch geistert der Mythos der so genannten Lover Man-Session bis heute durch die Jazz-Literatur.54) Russell bemühte in seiner Parker-Biographie auch ausgiebig die Klischees der damaligen „Beatnik“-Bewegung, um Parker zu mystifizieren55), und meinte unter anderem gar, dass die „religiöse Ekstase von Parkers Musik“ selbst noch im Free-Jazz zu hören sei56). All dieses unbekümmerte Hineininterpretieren von Gesellschaftskritik, Religiosität, Ekstase und so weiter mag in einer Biographie einen beeindruckenden Nimbus erzeugen, vermittelt jedoch keinen Zugang zur Musik und ist irreführend. Auch die preisgekrönte Kurzgeschichte über die elende Situation eines Jazz-Musiker-Junkies sagt allenfalls etwas über gewisse frühere Umstände im Jazz-Milieu aus, jedoch nichts über das Wesen dieser Musik.57) Parkers Musik zu hören, bedeutet vor allem, seinen schnellen, unglaublich raffinierten, subtil gestalteten Linien zu folgen und für ihre rhythmisch-melodische Bewegung ein Gefühl zu entwickeln. Das ist schwierig und lässt einem nicht den kleinsten Moment Zeit für Gedanken an Gesellschaftskritik, Ekstase oder Ähnliches. Wenn es einem gelingt, dicht dran zu bleiben und sich innerlich mitzubewegen, dann stellt sich ein angeregter, heller, beschwingter Zustand ein – so als wäre „Birds“58) Spiel ein kunstvoller Vogelflug in luftigen, lichtdurchfluteten Höhen. Dann spielt auch keine Rolle mehr, was Parker in seinem sonstigen Leben an Elend erlebte und auslebte.

Musiker wie Parker und Gillespie stellten hohe Anforderungen an die Hörer und die Musiker der Free-Jazz-Bewegung der 1960er Jahre machten es den Hörern insofern noch schwerer, als sie sich von deren Verlangen nach nachvollziehbaren Melodien, Harmonien und Grooves „befreiten“. Allerdings kamen sie dem Publikum oft durch eine Verstärkung der theatralischen Komponente entgegen, wie folgender Vergleich veranschaulicht: Im Jahre 1967 trat in London zunächst das Quintett von Miles Davis auf, der die völlige „Befreiung“ ablehnte, und anschließend Archie Shepp mit seiner Gruppe, der als prominenter Vertreter des Free-Jazz galt. Die Miles-Davis-Band wirkte in ihren Smoking-Jacken und Fliegen „statuesk […] und vermittelte den Eindruck von intensiver Konzentration. […] Miles Davis spielte ein etwa einstündiges, ununterbrochenes Set, in dem einige wenige vertraute Themen auftauchten und wieder verschwanden. […] Es gab eindeutige Bezüge auf Tonarten; es gab Soli; aber unablässig brodelte das Schlagzeug, führte einen ständigen Dialog mit allem, was gerade gespielt wurde, und die Band spielte brillante Kollektiv-Improvisationen, ohne auch nur ein einziges Mal in jene rhythmischen Grooves einzurasten, für die Miles zu Recht berühmt war [..] Die Zuhörer hatten das Gefühl, an dem Konzert nicht richtig teilnehmen zu können […]. Als der Vorhang fiel, gab es herzlichen, aber etwas verunsicherten Applaus. [..] Archie Shepps Band war in jeder Hinsicht das Gegenteil von Miles’ Quintett. Die Musiker waren lässig, bunt und extravagant gekleidet und Shepp trug zur Krönung seiner anarchischen Aufmachung einen hellen Fez59). Sie wippten und hüpften und machten beim Spielen wüste Verrenkungen, was den Eindruck enormer körperlicher Anstrengung hervorrief. Mit den ersten Tönen aus Shepps Tenorsaxofon stürzte sich die Band in eine vollkommen atonale Raserei mit kreischenden Bläsern und tobendem Schlagzeug, die volle zwanzig Minuten anhielt. […] Shepps Vorstellung war im Grunde ein theatralisches Ereignis (tatsächlich war Shepp ein recht angesehener Dramatiker), umso mehr, als Shepp nach Miles’ Quintett auftrat, einer Gruppe also, die beinahe alle Werte verkörperte, die Shepp niederreißen wollte. Kleidung und Gebaren von Shepps Band waren die der jüngeren Generation, und die körperliche Beteiligung seiner Mitspieler an der Musik war dem extrovertierten Verhalten der Rockmusiker verwandt.“ (Ian Carr)60)

Archie Shepps damaliger Auftritt mag ein extremes Beispiel sein und es gab in dem als Free-Jazz bezeichneten Bereich auch völlig konträre Tendenzen61), aber im Überblick betrachtet spielte in dieser Jazz-Richtung doch die Theatralik als kommunikatives Mittel eine verstärkte Rolle.62) Viele Musiker trugen auffällige Kleidung, bemalten sich gar, gebärdeten sich wild und sorgten für „Jazz-Ekstase“63), die allerdings kaum vergnügten, spielerischen Übermut ausdrückte, sondern vor allem Befreiung (in künstlerischer, „gesellschaftlicher“64) und spiritueller Hinsicht). So wie Shepp mit seiner bunten Kleidung und seinem Fes vermittelten auch andere Musiker damals ein „nicht-westliches“, auf Afrika bezogenes Selbstverständnis, was die unbändige Energie ihrer Musik als afrikanisch erscheinen ließ. In Wahrheit hatte diese „freie“ Musik jedoch mit afrikanischen Traditionen so gut wie nichts gemeinsam. Wenn zum Beispiel der Schlagzeuger Sunny Murray in einer Filmaufnahme aus dem Jahr 1968 in afrikanischem Gewandt kaum Rhythmen spielte, sondern lautstarke Klänge erzeugte, mit weit geöffnetem Mund grölende Laute hinzufügte und grimassierte65), so war das aus der afrikanischen Sicht, die im Zitat am Anfang dieses Artikels beschrieben wurde, gewiss völlig inakzeptabel. Tatsächlich sprach der Free-Jazz kaum jemand anderen an als westlich gebildete, junge Leute, die ihn mit den gesellschaftskritischen Vorstellungen der 1960er und 70er Jahre sowie ihrem eigenen Verlangen nach freier Entfaltung verbanden. „Schrie“ ein Saxofonist mit dem Instrument seine „Seele aus der Brust“66), so galt das oft als besonders „ehrlich“, „fortschrittlich“ und künstlerisch wertvoller als eine ideenreiche, geschickte Improvisation. Manchen Musikern diente das Spielen tatsächlich verstärkt zum Ausleben von Gefühlen, wie folgende Aussage eines französischen Musikers zeigt: „Jazz gibt mir die Möglichkeit mich total auszutoben. Das funktioniert so bei keiner anderen Musik.“67) Wenn so ein „Austoben“ heftig genug war, erhielt die im Laufe der Jahre schwindende Hörerschaft des Free-Jazz manchmal ein wenig Verstärkung durch junge Rockmusik-Fans68), zum Beispiel in Konzerten des deutschen Saxofonisten Peter Brötzmann, dessen raue Klang-Attacken ihm die Bezeichnungen „Teutone“ und „Berserker“ eintrugen69).

Außerhalb dieser extremen Musikrichtung verstehen Jazz-Musiker hingegen ihre Musik keineswegs als „Austoben“. Vielmehr bemühen sie sich, eine gute „Geschichte zu erzählen“. Bereits Louis Armstrong hatte ein „ganzes Buch voller Geschichten. Er erzählte und erzählte, Chorus auf Chorus und erreichte einen absoluten Höhepunkt, indem er auf dem hohen F endete. Ein wirklicher Höhepunkt. Sauber, klar und genau zum richtigen Zeitpunkt. Der Rhythmus rockte, und er hatte diesen einmaligen Ton, diesen Klang. Die ganze Zeit baute er die Geschichte auf, anstatt wild drauflos zu spielen.“ (Roy Eldridge)70) Solchen „Geschichten“ zu folgen, erfordert Gespür für die musikalischen Sprachen des Jazz und je differenzierter diese wurden, umso mehr Hörerfahrung verlangen sie. Theatralik springt einen hingegen geradezu an und drängt die „Geschichten“ in den Hintergrund. Bereits die in Eldridges Aussage erwähnten Höhepunkte in Armstrongs Soli waren ein wenig fragwürdig: In den Aufnahmen seiner frühen, künstlerisch bedeutendsten Zeit71) gab es noch nicht dieses Zustreben auf einen spektakulären Höhepunkt am Ende des Solos, mit dem das Stück dann abbrach und in Konzerten ein frenetischer Jubel des Publikums ausgelöst wurde72). Als er ein Star war, gehörte dieses Spiel wie ein Ritual zu seinen Shows und es war nicht allzu weit von einer Zirkusnummer entfernt.73) Mit zunehmender Komplexität der Musik wird das Verhältnis zwischen „Geschichten-Erzählen“ und Theatralik entsprechend problematischer: Einerseits steigt beim überforderten Hörer die Empfänglichkeit für erleichternde Dramatik, andererseits gehen schwerer verfolgbare „Geschichten“ besonders leicht verloren, wenn sich Dramatik in der Vordergrund drängt. Diese Problematik zeigte sich zum Beispiel in folgender Situation eines im Jahr 2002 stattgefundenen Konzerts des Saxofonisten Steve Coleman mit seiner Five-Elements-Band: Die Rhythmusgruppe spielte mächtige, eindringliche Grooves, deren Polyrhythmik sehr anspruchsvoll war. Das gesamte musikalische Geschehen bezog sich stark auf diese dichten Rhythmen und ihre Intensität entlud sich keineswegs etwa in wilden Klängen der Blasinstrumente, sondern schien vielmehr deren Beweglichkeit anzutreiben. So ergab sich vor allem in schnellen Stücken eine schwierige, für europäische Verhältnisse fremdartige Musik, die keineswegs „free“, sondern hochgradig strukturiert war.74) Die Musiker waren offensichtlich ganz auf die Musik konzentriert, es gab keine Ansagen, die Stücke gingen meist nahtlos ineinander über, zwar agierten zwei Tänzerinnen zeitweise vor der Band, jedoch so „abstrakt“, dass sie den Zugang zur Musik nicht wirklich erleichterten. Nur ein Teil des Publikums reagierte auf diese Musik mit Begeisterung. Später trat dann der (französische) Posaunist, der ein komödiantisches Talent zeigte, bei seinem Solo vor die Band, spielte mit jaulendem Ton verhältnismäßig grobschlächtig und wand dazu seinen Körper, als würde er mit der Musik ringen. Sofort brachte ihm das Publikum Applaus entgegen, als hätte es schon auf diese Befreiung von der hohen Spannung der Musik gewartet. Steve Coleman fand das Agieren des Posaunisten aber offenbar nicht gut, sprach ihn nach dem Stück an und der hielt sich dann für den Rest des Konzerts wieder zurück. Was Colemans Musik bietet, ist eben ohne diese Spannung nicht erreichbar und zuletzt war das Publikum auch ohne weitere Vorführung von „Jazz-Ekstase“ begeistert.75)

 

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  1. QUELLE: John Miller Chernoff, Rhythmen der Gemeinschaft, 1994, S. 168
  2. Rainer E. Lotz: „Da die Truppen des amerikanischen Expeditionskorps in Frankreich stationiert waren, wurde Frankreich während der unmittelbaren Nachkriegsjahre auch zum natürlichen Ausgangspunkt des Jazz in Europa. Viele der schwarzen Musiker kamen als Zivilisten wieder zurück oder veranlassten durch ihre Schilderung der guten Aufnahme in Frankreich andere Kollegen, ihr Glück in Paris zu versuchen.“ (QUELLE: Rainer E. Lotz in: Klaus Wolbert [Hrsg.]: That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts, 1988, S. 292)
  3. Rainer E. Lotz: „Bis in die Mitte der zwanziger Jahre waren die Jazzbands vornehmlich Radau- und Attraktionskapellen […].“ (Rainer E. Lotz in: Klaus Wolbert [Hrsg.]: That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts, 1988, S. 292)
  4. Zum Beispiel sagte ein afro-amerikanischer Boxer, der sich in Paris aufhielt und sich ein Schlagzeug zulegte, um damit Geld zu verdienen: „Ich glaube, ich war ganz erbärmlich, aber es schien so, dass jedes Tanzlokal einen farbigen Jazz-Schlagzeuger haben wollte.“ (QUELLE: Ekkehard Jost in: That’s Jazz, Der Sound des 20. Jahrhunderts, 1988, S. 314)
  5. Schilderung eines französischen Zeitgenossen; QUELLE: Ekkehard Jost in: Klaus Wolbert [Hrsg.]: That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts, 1988, S. 314
  6. QUELLE: Ekkehard Jost in: Klaus Wolbert [Hrsg.]: That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts, 1988, S. 314
  7. In den 1920er Jahren begann Bechet dann, allmählich von der Klarinette zum Sopran-Saxofon zu wechseln. (QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, 2002, Band 1, S. 82)
  8. QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, 2002, Band 1, S. 82
  9. QUELLE: Ekkehard Jost in: Klaus Wolbert [Hrsg.]: That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts, 1988, S. 317
  10. QUELLE: Leonard Feather in: Joachim-Ernst Berendt (Hrsg.), Die Story des Jazz, 1975, S. 120. – Feather erwähnte an dieser Stelle auch den ganz anderen Eindruck, den Duke Ellington in London ein Jahr nach Armstrong hinterließ: „Der Schock dann, in Ellington einem so ernsthaften, urbanen, witzigen und beredten schwarzen Amerikaner zu begegnen, dessen orchestrales Genie eben diese Qualitäten spiegelte, hinterließ manchen Beobachter verwirrt. Bis heute trifft man zuweilen unter älteren Europäern auf Missverständnisse über schwarze Amerikaner: dumme Verallgemeinerungen, die auf jene ersten Begegnungen mit Armstrong oder mit Ellington zurückzuführen sind.“
  11. YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=3TGSYmYVYdg&feature=related – Die Aufnahmen von diesem Auftritt in Europa sind die ersten Filmaufnahmen von einem Konzert Armstrongs und das ist für die (im Gegensatz zum amerikanischen Musikgeschäft) ernsthafte Wertschätzung des Jazz in Europa bezeichnend. Diese Aufnahme und auch die in der nachfolgenden Fußnote erwähnte sind auch insofern wertvoll, als sie einen Eindruck vom noch relativ jungen Armstrong mit all seinem Feuer und durchtriebenen Witz verschaffen, während man ihn sonst meistens als lustigen „alten Opa“ sieht. – Abbi Hübner zu den Aufnahmen vom Konzert in Copenhagen: „Erstaunlich, mit welchem Selbstbewusstsein Armstrong, von einem durchschnittlichen Caféhausorchester begleitet, in der ungewohnten Atmosphäre eines europäischen Konzerthauses seine Show abzieht und im Handumdrehen das Publikum gewinnt. Vier, fünf und mehr Chorusse dauernde Bravourstücke mit lang ausgehaltenen hohen Noten über einem Orchester, das verzweifelt bemüht ist, ein Tempo zu halten, das der Schlagzeuger mit der Basstrommel nur noch auf Eins und Drei zu markieren vermag, sind inzwischen offenbar Routine und gehören in Dinah, Tiger Rag, Chinatown und St. Louis Blues dazu, weil es bei den Zuhörern ankommt.“ (QUELLE: Abbi Hübner, Louis Armstrong, 1994, S. 164)
  12. A Rhapsody In Black And Blue, 1932, von der Hollywood-Filmproduktions-Firma Paramount Pictures; YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=aUcQESVYlec - Solche Musikfilme (vergleichbar mit Video-Clips) dienten angeblich dazu, das Kino-Film-Programm auszufüllen.
  13. (I'll Be Glad When You're Dead) You Rascal You – An diesen Song schließt ein zweiter Teil an, in dem er Shine singt, und in diesem Teil kommt wesentlich mehr von Armstrongs Lässigkeit zum Zug. „Shine“ war allerdings wie „Darky“ eine Bezeichnung für Afro-Amerikaner, die kaum weniger beleidigend ist als „Nigger“. (QUELLE: Thomas Brothers, Louis Armstrong. Master of Modernism, 2014, Kindle-Ausgabe, S. 438f.)
  14. Betty Boot Cartoon: I’ll Be Glad When You’re Dead You Rascal You, 1932, YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=TV1Z7AnhTN0 – Das bezeichnende Thema des Films: Ein „Fräulein“, das sowohl kindlich als auch sexy wirkt (allein das schon eine bedenklich Kombination), lässt sich auf einer Sänfte durch einen afrikanischen Urwald tragen, wird von einer Horde Eingeborener überfallen und entführt und schließlich von ihren Sänftenträgern befreit. Zuletzt schießt ein Vulkan die Eingeborenen in die Luft. – So wie in den Wildwestfilmen die Aggression in der Regel von den Indianern ausgeht, nicht von den Siedlern, die den Indianern das Land wegnahmen, so sind auch hier in Afrika nicht die eindringenden Kolonialisten, sondern die primitiven Eingeborenen die „Bösen“. Ihnen wird selbstverständlich unterstellt, dass sie über die hellhäutige Dame herfallen wollen. Das erinnert daran, dass in den Südstaaten der USA Afro-Amerikanern oft unterstellt wurde, „weiße“ Frauen vergewaltigen zu wollen. Mit dieser Unterstellung wurde der Rassenhass unter „Weißen“ geschürt und diskriminierende Maßnahmen bis hin zu zahlreichen Lynchmorden gerechtfertigt. Näheres zu diesem Thema: Angela Davis in: Max Annas/Martin Baltes (Hrsg.), Absolute Black Beats, 2003, S. 124
  15. Der Schuft, der ihm (nach dem Liedtext) seine Frau ausgespannt hat und den er am liebsten umbringen würde, kann vielleicht auch als heimliche Symbolfigur für den „weißen Mann“ betrachtet werden, der dem Afro-Amerikaner alles weggenommen hat, unter anderem seine „männliche Ehre“. Wenn Armstrong in diesem Song in Rachegelüsten schwelgte, dann musste für ein afro-amerikanisches Publikum wohl eine Verbindung zu all dem Ärger über das, was ihnen tagtäglich durch den Rassismus angetan wurde, nahe gelegen haben. Unter den „Weißen“ herrschte eine (von Schuldgefühlen geschürte) Angst vor einer Rache der Afro-Amerikaner, sodass auch ihr Leben von den Folgen der Sklaverei und anschließenden Diskriminierung vergiftet wurde. (Diese Problematik besteht bis in die Gegenwart fort, wie ein Buch mit dem Titel Schwarzer Zorn und weiße Angst. Reisen durch Afro-Amerika von Ulrike Heider aus 1996 zeigt). Man kann in Armstrongs Song also vielleicht auch ein verdecktes Spiel mit der „weißen“ Angst vor dem „schwarzen“ Zorn sehen.
  16. QUELLE: Leonard Feather in: Joachim-Ernst Berendt (Hrsg.), Die Story des Jazz, 1975, S. 128
  17. Armstrong bezeichnete seinen langjährigen Agenten Joe Glaser als seinen besten Freund. „Aber im Chicago der 1920er Jahre war Mr. Glaser ein Partner Al Capones. Al Capone wasn’t so bad after all, sagte er. Mein Gott!“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt, Ein Fenster aus Jazz, 1977, S. 410). Armstrongs Loyalität gegenüber Glaser ist möglicherweise im Hinblick auf Folgendes verständlich: Er scheint seit jungen Jahren mit Gangsterwesen und Rassismus vertraut gewesen zu sein und schrieb im Jahr 1953: „Ich habe nie den Rat vergessen, den mir ein alter Freund aus New Orleans gegeben hatte: Hab immer einen guten Weißen bei der Hand, mein Sohn, einen, der dich unter seine Fittiche nimmt, wenn du in der Klemme bist, und sagen kann: Dieser Neger gehört mir. Der Alte hatte Recht.“ (QUELLE: Louis Armstrong, Mein Leben in New Orleans, 1977/1953, S. 177) Im Jahr 1935 war Armstrong in mehrfacher Hinsicht „in der Klemme“ und er fand Hilfe bei Joe Glaser, der daraufhin sein Manager wurde. (QUELLE: Abbi Hübner, Louis Armstrong, 1994, S. 67) – Joachim-Ernst Berendt: „Das amerikanische Agentenwesen ist in den 1920er Jahren aus der Mafia entstanden. […] All die berühmten Lokale, in denen die Jazzmusiker im Chicago der zwanziger Jahre aufgetreten sind, gehörten Gangstern […]. Auch außerhalb Chicagos war Club-Business in erster Linie Gangster-Business. Man weiß das von Las Vegas. Das New Yorker Birdland, das klassische Lokal des modernen Jazz, das in den 1940er und 50er Jahren eine Bedeutung besaß wie keine andere Jazzstätte, wurde von Gangstern finanziert […]. Es gibt Plattenfirmen, die auch heute [1977] noch im Besitz der Mafia sind. Das Jux Box Business ist es sowieso.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt, Ein Fenster aus Jazz, 1977, S. 409)
  18. Armstrongs wichtigste Plattenaufnahmen aus seiner „großen, schöpferischen Frühzeit“ (QUELLE: Martin Kunzler, Jazz Lexikon, 2002, Band 1, S. 6) mit der Hot-Five- und Hot-Seven-Band, wurden für die arme, afro-amerikanische, aus dem Süden stammende Arbeiterschicht in Chicago gemacht. In den zahllosen „Theatern, Varietés, Kneipen, Tanzlokalen, Clubs, Bars und Ballsälen“ Chicagos war diese Art von Musik zur damaligen Zeit (in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre) nicht mehr gefragt. (QUELLE: Abbi Hübner, Louis Armstrong, 1994, S. 46f.) Die Hot-Five- und Hot-Seven-Aufnahmen erlangten später hohes Ansehen bei den Kennern des alten Jazz, für eine größere Hörerschaft blieben sie jedoch wenig anziehend. Die meisten Hörer kennen Armstrong von seinen späteren populären Songs, seiner Rolle im Dixieland-Revival und seiner Art eines gutmütigen, alten Clowns. Dieses Bild zeigt wenig von seiner außerordentlichen, geradezu revolutionären musikalischen Leistung. Wynton Marsalis hat (unter anderem im Film Jazz von Ken Burns) viel dazu beigetragen, Armstrongs musikalische Bedeutung auch in der heutigen Zeit erkennbar zu machen.
  19. Martin Kunzler: „Als beweglicher Entertainer […] stand er fast symbolisch für die professionelle Verbindung von Jazz und Show in den Harlemer Music Halls der Swing-Zeit.“ (QUELLE: Martin Kunzler, Jazz Lexikon, 2002, Band 1, S. 176)
  20. zum Beispiel in Cab Calloway's Jitterbug Party, 1935, von der Hollywood-Filmproduktions-Firma Paramount Pictures, YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=N06KxYyUZkk
  21. zum Beispiel von Lionel Hampton ein Tom-Tom-Solo (YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=dy6B4lNixi4&feature=PlayList&p=95D6FDDD8516F754&playnext=1&playnext_from=PL&index=8), von Fats Waller The Joint Is Jumping (YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=LKe6yH3ZwGo), von Louis Jordan Caldonia, 1959 (YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=PR6pHtiNT_k)
  22. Die Leiter der bedeutendsten afro-amerikanischen Big-Bands (Duke Ellington, Count Basie und so weiter) traten sehr wohl respektabel auf, allerdings lächelnd, charmant, um ein Mitgehen des Publikums werbend.
  23. Die allgemeine Auffassung, dass Jazz etwas mit dem „wilden“ Afrika zu tun habe, macht unter anderem der im Jahr 1930 entstandene Film King of Jazz (YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=rFXsfRxOjUM) deutlich: Darin wird der Orchesterleiter Paul Whiteman gefragt, wie er zum „King of Jazz“ wurde. Als Antwort wird ein Zeichentrickfilm gezeigt, der Whiteman als Großwildjäger im „dunkelsten“ Afrika zeigt, wo er vom Löwen (dem König der Tiere) verfolgt wird, verzweifelt ein bekanntes „Negrospiritual“ singt, was den Löwen nicht beeindruckt, und den Löwen dann mit der (europäischen) Geige zähmt. Schließlich wird Whiteman durch eine Kokosnuss zum König gekrönt. (QUELLE: Wolfgang Sandner in: Wolfgang Sandner, Jazz, 2005, S. 288). Wo Whiteman wirklich „jagte“, das war wohl die South-Side (Chicagos afro-amerikanisches Viertel): Im dortigen Lincoln-Gardens-Tanzsaal war in der ersten Hälfte der 1920er Jahre King Olivers Creole Jazz Band mit dem jungen Louis Armstrong die Sensation und viele „weiße“ Musiker (unter anderen Benny Goodman) kamen oft, um zuzuhören. Paul Whiteman soll einer der häufigsten Besucher gewesen sein. (QUELLE: The Baby Dodds Story, As Told To Larry Gara, 2002, S. 37).
  24. Helen O'Connell, Song: Man, That's Groovy; YouTube-Video: https://www.youtube.com/watch?v=j5aK3O-jlxI
  25. Artie Shaw, Everything is Jumpin' (mit der afro-amerikanischen Auslassung des g in der Endsilbe –ing!), aus dem Film Second Chorus, 1940 (YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=8YqDbd6pUC0)
  26. Musikfilm Hoagy Carmichael Featuring Jack Teagarden and His Orchestra with Meredith Blake aus 1939 mit den Stücken That’s Right-I’m Wrong, Washboard Blues, Rockin' Chair und Stardust. Hoagy Carmichael sagt zum Butler, der ihm in das Jackett hilft: „Wir müssen uns beeilen, Clondike, sonst komme ich zu spät.“ Der Butler antwortet: „Das würde Paramount [die Filmgesellschaft] gar nicht mögen.“
  27. deutscher Titel eines Films über Gene Krupa; englische Original-Fassung: Drum Crazy. The Gene Krupa Story
  28. Alyn Shipton: „Krupa fehlte jedoch die Raffinesse vieler afro-amerikanischer Swing-Schlagzeuger. Seine extrovertierten Soli und sein draufgängerisches Ensemble-Spiel gefielen Goodman, der ebenso über Mussos [Saxofonist] Unzulänglichkeiten als Vom-Blatt-Leser wegen seines muskulösen Solo-Stils, der für das junge Publikum der Band ideal war, hinwegsah.“ (QUELLE: Alyn Shipton, A New History of Jazz, 2007, S. 241, eigene Übersetzung) – Angeblich soll der („weiße“) Trompeter Harry James über sein Ausscheiden aus der Benny-Goodman-Bigband in einem Interview sinngemäß Folgendes gesagt haben: Er habe Gene Krupa nicht mehr ertragen. Krupas Spiel sei immer unkontrollierbarer geworden. Er sei der Drummer mit dem schlechtesten Timing gewesen. Ganz besonders sei ihm (Harry James) die Nummer Sing, Sing, Sing auf die Nerven gegangen, die die Band jeden Abend spielen musste, weil das Publikum und Benny Goodman das so wollten. (Das erzählte 2007 in einem Internetforum ein deutscher Musiker, der viel Sympathie für „weiße“ Bigbands hegte und durchaus glaubhaft erschien.) – Ein deutscher Schlagzeuger (Rainer Lewalter) fügte folgenden Text in einen Wikipedia-Artikel ein: „Erhellend ist der Vergleich zwischen Krupa und Jo Jones bei Benny Goodmans Carnegie-Hall-Konzert von 1938. Krupa neigte immer dazu, durch zu laut gespielte Bass-Drum-Viertel (und Tom-Tom-Akzente) den Bass zu ersäufen, was der Goodman-Band einen recht kopflastigen, schlecht geerdeten Ensembleklang verlieh. Dagegen präsentiert die Basie-Rhythmusgruppe (mit Jones am Schlagzeug, Walter Page am Bass, Freddie Greene an der Gitarre und Basie am Piano) einen wesentlich ausgewogeneren, durchsichtigeren, aber auch rhythmisch vorantreibenderen Sound.“ (QUELLE: Der Text wurde vom Benutzer Bottomline am 12. November 2005 in den Artikel „Schlagzeug“ eingefügt und später in den Artikel „Schlagzeugspiel“ verschoben.)
  29. QUELLE: Dizzy Gillespie, To Be Or Not To Bop, deutschsprachige Ausgabe, 1984, S. 195
  30. Im New-Orleans-Jazz waren allerdings noch keine Schlagzeug-Soli üblich. Dodds spielte jedoch bereits „Breaks“ und diese bildeten die Keimzelle für die spätere Entwicklung von Schlagzeug-Soli – so wie zuvor das Solo der Blasinstrumente aus Breaks entwickelt wurde.
  31. QUELLE: Larry Gara im Vorwort zu The Baby Dodds Story. As Told To Larry Gara, 2002, S. xviii, eigene Übersetzung
  32. Westliche Bildung vermittelte früher eher eine andere Auffassung von der Rolle der Schlaginstrumente, wie Joachim-Ernst Berendt feststellte: „Dem von der europäischen Konzertmusik Herkommenden erscheint das Schlagzeug im Jazz zunächst als Radau-Instrument. Aber so paradox es klingen mag: dass man es als Radau-Instrument empfindet, liegt daran, dass es in der europäischen Musik Radau-Instrument ist“ – in dem Sinn, dass Schlaginstrumente dort „zusätzliche Intensitäts- und Fortissimo-Effekte schaffen sollen.“ Der Beat eines Jazzschlagzeugers aber „ist kein Effekt. Er schafft den Raum, in dem die Musik geschieht.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 425)
  33. YouTube-Video mit Gene Krupa (Gene Krupa having A good time): http://www.youtube.com/watch?v=cHr4XQ9SEcg und YouTube-Video mit Jo Jones (Papa Jo Jones): http://www.youtube.com/watch?v=GrKShqNkcnI
  34. Joachim-Ernst Berendt: „Leonard Feather: … Dizzy hatte einen Haufen bedingungsloser Verehrer auf der 52nd Street, die sogar seine Kleidung, seinen Gang, seinen Bart und andere Äußerlichkeiten nachahmten. Dizzy schuf damals das, was als Bebop-Mode um die Welt gehen sollte.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 130). Man konnte sich sogar „im Kaufhaus einen Bebop-Kit kaufen, einen kompletten Verkleidungsset, bestehend aus Baskenmütze, Brille und künstlichem Kinnbärtchen zum Ankleben.“ (QUELLE: Iron Werther, Bebop, 1988, S. 57). Allerdings war das eine Minderheitenmode, wenn auch mit beträchtlichem öffentlichem Interesse. (QUELLE: Iron Werther, Bebop, 1988, S. 56)
  35. Dizzy Gillespie: „Ich kritisierte […] an Louis sein Plantagenimage. Das konnten wir an Louis Armstrong nicht leiden, und wenn jemand zur Sprache brachte, wie Louis sich auf der Bühne verhielt, mit seinem weißen Taschentuch herumspielte und dem weißen Rassismus mitten ins Gesicht grinste, zögerte ich nie, zu sagen, dass mir das nicht gefiel. […] Erst viel später lernte ich Louis Armstrongs Verhalten auf der Bühne verstehen. Er wollte sich durch absolut nichts, nicht einmal durch seinen Zorn über den Rassismus, seine Freude am Leben und sein großartiges Lachen vermiesen lassen. Ich kam aus einer jüngeren Generation und hatte das falsch verstanden.“ (QUELLE: Dizzy Gillespie, To Be Or Not To Bop, deutschsprachige Ausgabe, 1984, S. 238) – In einer Filmaufnahme des Stückes Umbrella Man ist Gillespie mit Armstrong mit gemeinsamem Klamauk, aber auch auf musikalische Weise brüderlich vereint. (YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=ZO1uMjz3n3w)
  36. Joachim-Ernst Berendt: „Je mehr sich zeigte, dass Dizzy seine Big Band nicht ständig beisammen halten konnte, desto bewusster wurde er zum Komödianten seiner Musik. Als Clown des Bebop versuchte er, das zu verkaufen, was andernfalls unverkäuflich gewesen wäre.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 133)
  37. Melba Liston: „In Griechenland spielten wir einmal vor sehr eleganten Leuten, sie sahen aus, als hätten sie gepuderte Perücken auf. Das allein war schon eine Herausforderung für Dizzy. Dann kam ein sehr eleganter Ansager und ging zum Mikrophon und sagte: Bla, bla, bla. Mr. Dizzy Gillespie. Und in diesem Moment kam Dizzy von der Seite auf die Bühne geschossen, sprang diesem Typ auf den Rücken und begann, ihn wie ein Pferd zu reiten, und dieser sehr elegante Herr konnte ihn einfach nicht los werden, verstehst du. Er rannte hin und her, er verrenkte sich, er kroch über die Bühne, aber Dizzy saß auf seinem Rücken und hatte die Beine fest um seine Hüften gelegt. Wir lachten, bis wir nicht mehr konnten.“ (QUELLE: Dizzy Gillespie, To Be Or Not To Bop, deutschsprachige Ausgabe, 1984, S. 354)
  38. QUELLE: Iron Werther, Bebop, 1988, S. 56
  39. Als er mit ungefähr 20 Jahren in der Teddy Hill Band spielte, stellte Hill fest, dass „der junge Dizzy – mit all seiner Exzentrik und seinen ständigen Witzeleien – der zuverlässigste Mann der Band war." (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 126)
  40. Saxofonist, der im Free-Jazz der 1960er und 1970er Jahre eine beachtliche Rolle spielte
  41. QUELLE: Christian Broecking, Der Marsalis-Faktor, 1995, S. 38
  42. Gillespies richtige Vornahmen waren „John Birks“
  43. QUELLE: Dizzy Gillespie, To Be Or Not To Bop, deutschsprachige Ausgabe, 1984, S. 282
  44. Miles Davis über Parkers Verfassung in der damaligen Zeit: „Er fühlte sich allein gelassen, hatte keine Drogen, trank literweise Whisky und schluckte Benzedrin-Tabletten. Er war ausgebrannt, und ich glaubte wirklich, dass es mit ihm vorbei war. Verstehst du, ich dachte einfach, er stirbt.“ (QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 111)
  45. QUELLE: Ross Russell, Bird lebt!, 1985/1973, S. 136
  46. Elliott Grennard, Sparrow's Last Jump
  47. in der Mai-1947-Ausgabe des Harper's Magazine (der zweitältesten Monatszeitschrift der USA); die Kurzgeschichte wurde später auch abgedruckt in: Ralph Gleason, Jam Session, 1958, S. 235-248
  48. QUELLE: Arrigo Polillo, Jazz, deutschsprachige Ausgabe, 2007/1975, S. 529
  49. QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, 2002, Band 1, S. 983
  50. Er schrieb über dieses Stück: Charlie Parkers Ton war „scharf und so schmerzerfüllt, dass es einem das Herz brach. In seinen Phrasen spiegelten sich Bitterkeit und Frust der Monate in Kalifornien. Die Töne flossen in einer traurigen, würdigen Erhabenheit, aber Charlie schien nicht als denkender Musiker, sondern nach puren Reflexen zu improvisieren. Das waren die rauen Klänge eines Alptraums, der aus den tiefsten Schichten des Unterbewusstseins empor drang. Noch eine letzte unheimliche, spannungsgeladene Phrase, die unvollendet blieb, dann Stille. Alle Anwesenden im Kontrollraum waren erschrocken, verstört und zutiefst berührt.“ (QUELLE: Ross Russell, Bird lebt!, 1985/1973, S. 136)
  51. Er sagte im Jahr 1949 in einem Interview, diese Aufnahmen sollten in Grund und Boden gestampft werden. (QUELLE: Klaus Wolbert [Hrsg.], That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts, 1988, S. 189)
  52. QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 111
  53. QUELLE: Ben Ratliff, Ross Russell, 90. Recorded Charlie Parker, 23. März 2000, Internetseite der New York Times, Internet-Adresse: http://www.nytimes.com/2000/03/23/arts/ross-russell-90-recorded-charlie-parker.html
  54. So ist zum Beispiel von der „Größe“ und „emotionalen Wahrhaftigkeit“ dieser Aufnahme die Rede (QUELLE: Marcus A. Woelfle in: Peter Niklas Wilson [Hrsg.], Jazz-Klassiker, 2005, 1. Band, S. 297) und davon, dass sie „zwar fehlerhaft, aber voller Pathos und geradezu herzzerreißend“ sei, ein „missgestaltetes Meisterwerk des Jazz“ (QUELLE: Arrigo Polillo, Jazz, deutschsprachige Ausgabe, 2007/1975, S. 529).
  55. In Parkers Musik sei der „Ausdruck des afro-amerikanischen Ethos“ zu finden, das „zum Archetyp der Einsamkeit und Entfremdung des modernen Menschen geworden ist. Ein Symbol dafür ist jene seltsame Konfrontation zwischen Parker und Jean Paul Sartre 1949 in Montmartre, wie Schiffe, die einander nachts begegnen. Parkers Botschaft der Entfremdung und sein schmerzhafter Aufschrei gegen die Heuchelei der Gesellschaft, die ihn umgab, ihre falschen Wertvorstellungen und ihre Sentimentalität wurden […] von jenen seltsam gekleideten langhaarigen schwarzen und weißen Hipsters, die Charlie […] folgten, sehr wohl verstanden. Schon damals entstand ein neues Lebensgefühl und gesellschaftliches Bewusstsein […]“ (QUELLE: Ross Russell, Bird lebt!, 1985/1973, S. 221) – Ekkehard Jost hingegen: „Die Zuneigung der Beatniks zu den Bopmusikern beruhte nicht auf Gegenseitigkeit.“ Die Musiker fühlten sich „durchaus missverstanden, wenn sie mit dem großen Heer von ziellosen Hipstern in einen Topf geworfen wurden […].“ (QUELLE: Ekkehard Jost, Sozialgeschichte des Jazz, 2003, S. 139)
  56. QUELLE: Ross Russell, Bird lebt!, 1985/1973, S. 221 – Für Miles Davis war Ross Russell „ein blöder Schwätzer, mit dem ich nie gut auskam, weil er ein Parasit war, der Bird [Charlie Parker] wie ein Vampir aussaugte [...]. Dieser aufgeblasene weiße Klugscheißer. Er war nicht mal Musiker, woher wollte er also wissen, was Bird wollte.“ (QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 107) – Russells Biographie wurde wegen faktischer Unrichtigkeiten und offensichtlich fiktiver Darstellungen kritisiert (QUELLE: Artikel der Internetseite jazzHOUSE.org [Internetseite der Jazz Journalists Association, einer internationalen Vereinigung von Jazz-Journalisten] über Ross Russell, Internet-Adresse: http://www.jazzhouse.org/gone/lastpost2.php3?edit=951985219) und so kann man beim Lesen der lebhaften Schilderungen des Buches nie sicher sein, was für wahr zu halten ist und was nicht.
  57. Dennoch meinte der einflussreiche Jazz-Kritiker Ralph J. Gleason, dass diese Kurzgeschichte die „einzige gelungene fiktionale Behandlung des Jazz“ sei (QUELLE: Ralph J. Gleason, Jam Session, 1958, S. 235) – als wäre dieser furchtbare Zustand Parkers ein wesentlicher Teil des Jazz gewesen.
  58. „Vogel“, Parkers Spitzname
  59. Internet-Adresse eines Fotos: http://www.flickr.com/photos/ian-s/2410673729/
  60. QUELLE: Ian Carr, Miles Davis. Eine kritische Biographie,, 1985, S. 168f
  61. Zum Beispiel hat Leo Smith „die Magie der Stille und der Pause für die Free-Jazz-Trompete entdeckt“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 271). Smith sagte: „Der Zweck von Musik ist es, die Seele des Menschen zu beruhigen, damit er hören kann, was sein höheres Selbst in ihm sagt.“ (QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, 2002, Band 2, S. 1244)
  62. Ekkehard Jost: Bei einigen Gruppen des Free-Jazz „greifen visuelle, szenische Komponenten so unmittelbar in die Musik ein, dass das auf Schallplatten festgehaltene Resultat (zum Beispiel eines Konzertes von Sun Ra) letztlich nur einen Teil dessen wiederzugeben vermag, was im Augenblick des Entstehens der Aufnahme für Musiker und Publikum wesentlich war.“ (QUELLE: Ekkehard Jost, Free Jazz, 2002, S. 20)
  63. Joachim-Ernst Berendt: „[…] noch nie in der Jazz-Geschichte wurde auf Intensität in einem so ekstatischen, orgiastischen […] Sinne Wert gelegt wie im Free Jazz.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 43) – YouTube-Video von Sun Ras Band mit einem Solo des Saxofonisten Marshall Allen: http://www.youtube.com/watch?v=JboA9PumtDY
  64. Archie Shepp sagte zum Beispiel damals einmal: „Wir sind keine zornigen jungen Männer, wir sind rasend vor Wut.” (QUELLE: Philippe Carles/Jean-Louis Comolli, Free Jazz – Black Power, deutschsprachige Ausgabe, 1974, S. 205)
  65. YouTube-Video (sunny murray drum solo): http://www.youtube.com/watch?v=yxSb-9TEBbY
  66. Ein Jazz-Journalist und Musiker meinte in einem Internetforum über den „späten“ John Coltrane gar, er habe „sein Herz aus der Brust gespielt und schmerzhaft bloß gelegt“.
  67. QUELLE: Michel Portal im Film Reflections. New York–Paris, Jéróm de Missolz, Eric Sandrin, 1998
  68. Ekkehard Jost berichtete von einer „neuen Welle des Free Jazz“ zu Beginn der 2000er Jahre, die vor allem bei jugendlichen Anhängern der alternativen Rockmusik ankam. (QUELLE: Ekkehard Jost, Sozialgeschichte des Jazz, 2003, S. 379)
  69. Ein Rockfan erzählte in einem Internet-Jazz-Forum über ein Anfang 2008 stattgefundenes Konzert Brötzmanns: Die „wilde Freiheit“ seiner Musik habe sogar „schwer tätowierte und gepiercte Hardcore-Fans (womöglich mit einem glühenden Hufeisen auf den Bauch gebrannt) genauso angetörnt wie der polterndste Hard- oder Metalcore“.
  70. QUELLE: Abbi Hübner, Louis Armstrong, 1994, S. 65; Roy Eldridge war ein 10 Jahre nach Louis Armstrong geborener Jazz-Trompeter.
  71. mit seiner Hot-Five- und Hot-Seven-Band in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre
  72. zum Beispiel in der bereits oben angeführten Filmaufnahme vom Tiger Rag (YouTube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=3TGSYmYVYdg&feature=related)
  73. Abbi Hübner: Armstrong vollzog in der Zeit ab 1929 einen „Schwenk in Richtung seines Publikums, komplettierte seine Auftritte durch mimisch eindrucksvoll begleitete Gesangsdarbietungen, Ansagen und virtuos vorgetragene Trompetensoli unter Ausnutzung der hohen Register seines Instrumentes. Die Faszination, die hohe Noten auf Zuhörer ausübten – und ausüben! – dürfte ihm schwerlich entgangen sein. So baute er systematisch eine perfekte Einmannshow innerhalb seines Orchesters auf, wurde zum Entertainer.“ (QUELLE: Abbi Hübner, Louis Armstrong, 1994, S. 153)
  74. YouTube-Video von einem ähnlichen Konzert Steve Colemans in Nancy mit dem Stück Change The Guard: http://www.youtube.com/watch?index=5&feature=PlayList&v=sHU5t1oeiuI&list=PL71D2153FE40B756D
  75. QUELLE: eigene Eindrücke bei einem Konzertbesuch

 

 

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