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Unübersichtlichkeit


Bereits in den 1980er und 1990er Jahren war der Jazz aus der Sicht des deutschen Jazz-Kritikers Ekkehard Jost von einer „großen Unübersichtlichkeit eines so nie dagewesenen stilistischen Pluralismus“ geprägt.1) Die Vielfalt des Musikbereichs, der „Jazz“ genannt wird, war tatsächlich im Laufe seiner Geschichte gewachsen, aber schon in den 1920er Jahren beträchtlich. Im Jahr 1926 sagte der amerikanische Komponist George Gershwin, das Wort „Jazz“ werde für so viele unterschiedliche Sachen verwendet, dass es aufgehört habe, irgendeine bestimmte Bedeutung zu haben.2) Dass der Jazz dann doch Gestalt annahm, ist nicht auf ein Abnehmen der Vielfalt, sondern auf eine Schärfung des Jazz-Begriffs zurückzuführen.3) Jazz-Anhänger und besonders jene unter ihnen, die als Jazz-Kritiker hervortraten, rangen in oft hitzigen Debatten um Bewertungen und gaben ihre Erfahrungen in den weit verbreiteten Hot-Clubs weiter. Vieles, was sich als „Jazz“ erfolgreich verkaufte und oft im Vordergrund stand, wurde von ihnen als „kommerziell“ identifiziert und abqualifiziert. Sie entwickelten ein gewisses Verständnis für die spezifischen Qualitäten des Jazz, das allerdings von neuen Erscheinungsformen immer wieder herausgefordert4), gedehnt und schließlich von der Free-Jazz-Bewegung in grundlegender Weise in Frage gestellt wurde.5)

Wird zum Beispiel den rauen Klängen des Free-Jazz-Saxofonisten Albert Ayler und des „freien“ Schlagzeugers Sunny Murray Bedeutung eingeräumt, hört die Raffinesse eines Art Tatum, Charlie Parker und Max Roach auf, genereller Maßstab für Jazz-Qualität zu sein. Im Jahr 1976 sagte der Saxofonist Sam Rivers, der selbst zum Free-Jazz gezählt wird: „Heute kann es passieren, dass jemand auf die Bühne kommt und mit uns spielen will und absolut keine Ahnung hat […] und er bekommt unter Umständen dafür noch einen riesigen Applaus. […] Ich glaube, diese Leute sind ein Produkt der 1960er Jahre. […]  Keiner wollte irgendwelche Harmonien hören und keiner wollte irgendeine Form hören.“6) – Misst man John Coltranes letzter Begleitband, die Rhythmus und Harmonie radikal auflöste, denselben Rang bei wie seinem Quartett mit McCoy Tyner und Elvin Jones, so reduziert das zwangsläufig den Stellenwert von Jones‘ großartigem Groove und Tyners bestechender Harmonik. Nach der Auflösung des Rhythmus in manchen Spielarten des Free-Jazz begannen Jazz-Kritiker wie Jost, die den Free-Jazz als maßgebliche Weiterentwicklung des Jazz betrachteten, die Auffassung zu vertreten, dass die rhythmische Qualität des Swingens und Groovens keine wesentliche Eigenschaft des Jazz mehr ist.7) Dabei galt diese rhythmische Qualität gemeinsam mit der Improvisation seit jeher als zentrales Merkmal des Jazz. – Die Anerkennung der auf ein großes Publikum ausgerichteten Fusion-Bewegung untergrub ebenso früher entwickelte Qualitätsvorstellungen. Stellt man Aufnahmen wie das Miles-Davis-Album Bitches Brew auf eine Stufe mit den Meisterwerken Tatums, Parkers und Coltranes, so relativiert das unausweichlich den Wert der komplexen Kunst dieser Meister zugunsten eindrucksvoller Klänge.8) – Weitere Entwicklungen, die wiederum Anhänger fanden, zerrten ebenfalls am traditionellen Jazz-Verständnis. So begann zum Beispiel die von Wynton Marsalis repräsentierte traditionelle Linie, in den Darstellungen der Jazz-Entwicklung Raum einzunehmen, während frühere Wiederbelebungsversuche (selbst das in den 1940er Jahren begonnene, sehr populäre Dixieland-Revival)9) meistens nur am Rande erwähnt wurden. Wenn Marsalis einen prominenten Platz in der Jazz-Geschichte erhält, so wird damit ein weiteres Wesensmerkmal der Jazz-Tradition, nämlich die schöpferische Eigenständigkeit der Leitfiguren, in Frage gestellt und dem Jazz ein „klassischer“ Status verliehen, wie er einer in der Entwicklung weitgehend abgeschlossenen Musikkultur entspricht. – Schließlich fanden auch „Jazz“ genannte Formen von Popmusik und elektronischer Entspannungs- oder Party-Musik reichlich Eingang in Darstellungen der Jazz-Geschichte. So wurden Erscheinungen wie Pop-Jazz-Gesang, Smooth-Jazz, Acid-Jazz, New-Age-Jazz10), Hip-Hop-Jazz, Nu-Jazz (Lounge-Jazz) und Verbindungen von Jazz mit elektronischer Tanzmusik (Drum 'n' Bass, Techno, House und Jungle) als Jazz-Stile der 1980er und 1990er Jahre angeführt11), obwohl sie für die musikalische Entwicklung des Jazz völlig belanglos sind. Diesen Modetrends eine solche Bedeutung zu verleihen, widerspricht dem künstlerischen Anspruch des Jazz, um dessen gesellschaftliche Anerkennung Musiker und Kritiker nahezu die gesamte Jazz-Geschichte hindurch rangen.

Die viel geforderte Offenheit und Wertschätzung für die unterschiedlichsten Erscheinungsformen von „Jazz“ brachte somit unweigerlich eine immer nebulosere Vorstellung von seinen maßgeblichen Qualitäten mit sich. Das zeigt sich zum Beispiel in der 2005 erschienenen Fortführung von Joachim-Ernst Berendts einflussreichem Jazzbuch durch Günther Huesmann: Berendt stellte für jedes Jahrzehnt einen oder zwei repräsentative Musiker heraus, etwa Charlie Parker und Dizzy Gillespie für die 1940er Jahre, Miles Davis für die 1950er, John Coltrane und Ornette Coleman für die 1960er Jahre. Bei seiner Wahl des Gitarristen John McLaughlin für die 1970er Jahre war es bereits irritierend, McLaughlin in der Reihe von Parker und Coltrane zu sehen. Auch Wynton Marsalis und David Murray für die 1980er Jahre konnten nicht wirklich vor der Vergangenheit bestehen. Aber Huesmanns Entscheidung für John Zorn als Vertreter der 1990er Jahre ist schlicht unverständlich. In Huesmanns Augen stellte Zorn als radikaler „Stile-Zertrümmerer“12) eine Gleichwertigkeit jedes auch noch so banalen Musikstils her und darin sah Huesmann eine für den Jazz und die „postmoderne“ Welt zukunftsweisende „Pluralität“.13) Solche Ideen entsprechen in keiner Weise mehr der Musiktradition, die Louis Armstrong, Parker und Coltrane repräsentieren, und es ist kaum eine radikalere Auflösung jeder Vorstellung von einer spezifischen Jazz-Qualität vorstellbar als diese Huldigung völliger Beliebigkeit.14) Das Überbordwerfen der Jazz-Tradition bei gleichzeitiger weiterer Inanspruchnahme des „Markenzeichens“ Jazz liegt in einem seit Längerem bestehenden europäischen Trend. Diese letztlich von Marktinteressen angetriebene Entwicklung führte (zumindest im deutschsprachigen Raum) zu einem Verfall der Jazz-Kritik und des Jazz-Verständnisses.
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Überangebot

Einer der erfolgreichsten europäischen Jazz-Musiker, der norwegische Saxofonist Jan Garbarek, sagte im Jahr 2009: „Wer soll das alles noch kaufen? Keiner hat mehr den Überblick oder die Zeit, sich damit zu befassen. Der Markt explodiert und möglicherweise gibt es auch von mir viel zu viele Aufnahmen. […] Jedes Mal, wenn ich in ein Plattengeschäft gehe, dann erblicke ich diese Unmenge von Tonträgern und bin fassungslos. Täglich kommen tausend neue dazu. Selbst wenn ich nach etwas ganz Bestimmtem suche, verliere ich nach 15 Minuten den Überblick und die Geduld. Dann muss ich einfach raus. […] Da gibt es inzwischen so viel Bullshit, mit dem sich die wirklich interessanten und guten Dinge in eine Reihe stellen lassen müssen.“15) – Tatsächlich stehen mehr als genug exzellente Aufnahmen aus der Jazz-Geschichte zur Verfügung, um Hörer laufend mit bestem Jazz zu versorgen. Das allermeiste des krassen Überangebots an ständig neuen Aufnahmen, von dem Garbarek sprach, erreicht bei weitem nicht das Niveau der Meister der Jazz-Geschichte.

Der afro-amerikanische Saxofonist Sam Rivers, der in den 1970er Jahren den bekanntesten Loft16) New Yorks betrieb, erzählte: „Manchmal kommen junge Typen zu mir auf die Bühne, die kaum einen Ton spielen können, die aber unbedingt mit mir spielen wollen. Früher ließ ich diese Leute ja mitspielen. Aber dann empfand ich es häufig als beleidigend, dass sie die Musik meiner Gruppe und damit den ganzen Abend zerstörten.“ Nun reagiere er anders: „Wenn sie auf die Bühne hochkommen, dann sage ich ihnen gewöhnlich: Was kannst du dem noch hinzufügen? Du hast hier gesessen und hast mich zwei Stunden lang spielen gehört, hast gehört, wie wir die Intensität gesteigert haben. Was kannst du zu alledem noch hinzufügen? […] Sie grinsen mich an oder starren mich an. Und sie versuchen es nicht noch einmal.“17) – Sam Rivers Frage stellt sich auch für alle Neuerscheinungen des Jazz-Marktes: Wer kann der großartigen Sammlung von herausragenden Aufnahmen, die der Jazz im Laufe seiner Geschichte hervorgebracht hat, noch etwas Hörenswertes hinzufügen? Welche Aufnahmen bereichern die bestehende Palette von Meisterwerken, die bereits die unterschiedlichsten Stilbereiche umfasst? Welche Aufnahmen sind es wert, ihnen Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, statt die bekannten Meister zu hören? Die Wahrheit würde dem Jazz-Geschäft und damit auch den meisten der (im Verhältnis zum kleinen Jazz-Publikum) viel zu vielen18) Musikern den Boden entziehen. Es ist äußerst schwierig, dem Reichtum der auf Tonträgern verfügbaren Jazz-Geschichte etwas wirklich Wertvolles hinzuzufügen, und es gelingt dementsprechend selten.

 

Handicap der Meisterwerke

Die technischen Mittel der Tonaufzeichnung sind für den Jazz ein unschätzbarer Segen, denn ohne sie hätte all die im Laufe der Jazz-Geschichte hervorgebrachte Kunst, in der die Improvisation zentrale Bedeutung hat, nicht festgehalten und verbreitet werden können. Der kreative Akt der Improvisation, die Feinheiten der spontanen Gestaltung und die Persönlichkeit, die dabei zum Ausdruck kommt, sind im Jazz so wichtig, dass jedes Nachspielen als Plagiat und jede Nachahmung als fragwürdig erscheint. Es gibt im Jazz daher praktisch kein Wiederaufführen der Meisterwerke. Die Meister selbst konnten ihre Werke häufig nach einiger Zeit nicht mehr in gleicher Weise wiederholen, sondern spielten Neues. Eine Aufführungspraxis, wie sie in der europäischen Konzertmusik üblich ist, und eine Pflege, wie sie in der Volksmusik durch das Spielen alter Lieder erfolgt, sind im Jazz somit ausgeschlossen. Das Reproduzieren „klassischer“ Musik ließ sie in gewisser Weise erstarren und Volksmusik mag so manches an altem Sinnzusammenhang verloren haben, aber das Aufführen in einem entsprechenden gesellschaftlichen Rahmen verleiht den alten Stücken immer wieder Bedeutung in der Gegenwart. Während etwa Mozarts oder Verdis Musik in prächtigen Inszenierungen als große Ereignisse mit Medienresonanz präsentiert werden, kann man Charlie Parkers Musik nur in schlechter Klangqualität von Speichermedien hören – ohne visuelle Eindrücke und mehr oder weniger alleine, denn es gibt keinen Anlass für entsprechende Hörveranstaltungen. Mangels Veranstaltungen haben die Medien auch nichts über Parkers Musik zu berichten und so ist selbst im Jazz-Bereich Parker in die Vergangenheit entschwunden, während die um mehr als 150 Jahre älteren Kompositionen Mozarts in der Öffentlichkeit immer wieder gegenwärtig sind. Vor der Verbreitung des Fernsehens war noch eine gewisse Radio-Hörkultur verbreitet, die der Vermittlung der Jazz-Meisterwerke entgegenkam, doch nun stellt der bunte, flüchtige „Event“-Konsum eine erdrückende Konkurrenz dar.

 

Chance des Neuen

Das Handicap der berühmten Werke der Jazz-Geschichte ist zugleich die Chance des Neuen, und zwar für Musiker, Musikproduktionsfirmen, Konzertveranstalter, Kritiker … für alle Aktiven der Jazz-Szene. Sie müssen laufend mit Neuem Interesse wecken, um ihre Beschäftigung in Gang zu halten. So wie es sich kein Musiker leisten kann, statt seiner Musik die von John Coltrane zu empfehlen, so kann sich kein Jazz-Magazin damit begnügen, monatlich bekanntzugeben, dass der Jazz-Markt wieder nichts Kaufenswertes hervorgebracht hat. Jazz-Kritiker sind darauf angewiesen, dass Firmen und Musiker laufend neue Aufnahmen liefern, die sie besprechen können, und die Firmen und Musiker brauchen die Kritiker, die ihre Musikproduktionen (mit positiven Bewertungen) vorstellen. Konzertveranstalter können keine toten Meister präsentieren und ihr Publikum schwindet zwangsläufig mit der Zeit, wenn sie nicht auch ein jüngeres ansprechen können. Die weitere Lebensfähigkeit der gesamten Jazz-Szene hängt von einem ständigen Nachwuchs an Musikern, Aktivisten und vor allem auch Hörern ab. Sie kann nicht allein von der Erfahrung der Alten leben, sondern braucht auch das Feuer der Jungen. Nur in lebendigen Szenen konnten die Meisterwerke der Jazz-Geschichte entstehen.

 

Auslese

Der afro-amerikanische Saxofonist Von Freeman sagte: „Je besser du dich in der Musik auskennst, desto weniger kannst du akzeptieren, was die meisten Leute machen. Siehst du, einen wirklich großen Musiker kannst du immer akzeptieren. Aber dann findest du sehr schnell heraus, dass es davon nur eine Handvoll gibt. Eine Menge Leute werden große Musiker genannt. Man macht eine Menge Reklame für sie und alles möglich drum herum. Und vielleicht würden sie wirklich einmal groß werden, wenn man ihnen eine Chance gäbe. Aber die meisten von ihnen bleiben im Geld-Syndrom hängen. […] Im Allgemeinen wirst du herausfinden, dass jeder, der etwas wirklich Kreatives macht, welcher Hautfarbe er auch immer ist, in der Regel ein armer Schlucker ist. Ich habe oft darüber nachgedacht, ob Armut wirklich ein Teil davon ist? Ich weiß es einfach nicht.“19) – Don Byas, ein weiterer alter afro-amerikanischer Meistersaxofonist, sagte: „Dieser Mann [Charlie Parker] konnte blasen! Man hört sich jetzt seine Musik an und man fragt sich, wovon Leute reden, wenn sie jemanden mit ihm vergleichen. Wen zum Teufel willst du mit Bird20) vergleichen? Selbst Trane [John Coltrane] war von ihm beeinflusst, auch wenn der viel weiter ging. Aber Bird war sein Idol.“21)

Garbarek fand: „Niemand kann wie Charlie Parker spielen, obwohl es hunderte und tausende Musiker versuchten – so zu leben wie er, seine Phrasen zu spielen, so frei, schnell und bestechend wie er. Aber man hat keine Chance. Man gibt es am besten auf der Stelle auf – und denkt über etwas anderes nach.“22) – Parker als Leitbild „auf der Stelle aufzugeben“ und „über etwas anderes nachzudenken“, kann aber eben zu jener Entfernung von den speziellen Qualitäten der Jazz-Tradition führen, die den Jazz zu einem uferlosen, unübersichtlichen Sammelbecken beliebiger Musikproduktionen macht. Coltrane war sehr wohl auf Parker bezogen und schuf damit eine eigene Musik, die eine weitere Facette derselben Musiktradition auf höchstem Niveau bildet. Steve Coleman tat das einige Zeit später ebenso.23)

 

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Fußnoten können direkt im Artikel angeklickt werden.

  1. QUELLE: Ekkehard Jost, Sozialgeschichte des Jazz, 2003, S. 287 – Zum Begriff „Unübersichtlichkeit“ merkte Jost Folgendes an: „Den in diesem Kapitel häufiger verwendeten Begriff der ‚Unübersichtlichkeit‘ leihe ich mir von Jürgen Habermas aus, der ihn in den 80er Jahren im Zusammenhang mit der Postmoderne-Diskussion als zentrale Kategorie herausarbeitete. […]“ (S. 406, Anmerkung 1) – Günther Huesmann sprach von einer „explodierenden Stilvielfalt der 90er Jahre“. (Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 2005, S. 95)
  2. QUELLE: Thomas Brothers, Louis Armstrong. Master of Modernism, 2014, Kindle-Ausgabe, S. 57
  3. Alyn Shipton: Bei der Fülle von unterschiedlichen Stilen, die alle in Anspruch nehmen, Jazz zu sein, sei leicht zu erkennen, wie schwierig es ist, diese Musik bei allen Arten der Übergänge zu Weltmusik, Rock, Blues und andere Formen heute zu definieren. Doch sei die Definitionsfrage die ganze Jazz-Geschichte hindurch allgegenwärtig gewesen. Autoren, die die 1920er Jahre diskutierten, hätten rasch darauf hingewiesen, dass das, was damals oft als Jazz bezeichnet wurde, aus ihrer Sicht kein Jazz war. Das habe mit Hugues Panassié begonnen, als er 1934 eine Kritik der britischen Band von Jack Hylton und des amerikanischen Orchesters von Paul Whiteman verfasste. (QUELLE: Alyn Shipton, A New History of Jazz, 2007, S. 2)
  4. John Gennari: Die Jazz-Kritik habe seit dem Beginn der Kanonisierung der Musik in den späten 1930er Jahren mit einer Zwickmühle gerungen: Wie kann man das ständige Vorantreiben der Musik mit dem ebenso starken Impuls, ihre Geschichte und Tradition in Erinnerung zu halten und zu feiern, in Einklang bringen? – Wie, was und wer soll in Erinnerung gehalten werden? Wie soll den Erinnerungen Form, Ordnung und Bedeutung gegeben werden? Wie soll man die „lärmende Verlorenheit“ [Ralph Ellison, siehe Gennari S. 118] zurückgewinnen und verstehen? Wie soll man die Vergangenheit erfassbar und verwendbar machen? Wie soll man in die Zukunft gehen? Das waren die beständigen Fragen für Jazz-Kanonisierer, wenn man zurückgeht zu Jazzmen und den Lenox-„Roundtables“, und sie blieben in Blues People und Rolling Stone die beständigen Fragen, auch wenn sie in neuer Rhetorik neu formuliert und beantwortet werden. (QUELLE: John Gennari, Blowin‘ Hot and Cool, 2006, S. 297f.)
  5. Näheres zu dieser gesamten Entwicklung im Artikel Echter Jazz: Link
  6. QUELLE: Ekkehard Jost, Jazzmusiker, 1982, S. 83
  7. Ekkehard Jost: Swing sei eine „historische Komponente begrenzter Reichweite“, da sie „an das zumindest implizierte Vorhandensein eines regelmäßigen Fundamentalrhythmus gebunden ist und – wie am Free-Jazz deutlich wird – für die Jazzmäßigkeit einer Musik kein hinreichendes Kriterium zu liefern vermag.“ (QUELLE: Ekkehard Jost in: Wolf Kampmann [Hrsg.], Reclams Jazzlexikon, 2003, S. 676)
  8. Mehr dazu im Artikel Miles Davis Fusion: Link
  9. Auch nach dem Dixieland entstandene Spielarten wurden später wiederbelebt. Zum Beispiel erwähnte Berendt ein „erstaunliches Comeback des Swing“ in den 1970er Jahren. (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 2005, S. 42)
  10. zum Beispiel Andreas Vollenweider
  11. zum Beispiel in: Mark C. Gridley, Jazz-Styles, 2012, S. 391-401; Gary Giddins/Scott DeVeaux, Jazz, 2009, S. 556-567; Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 2005, S. 85-89
  12. QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 2005, S. 238
  13. Günther Huesmann: „John Zorn hat unsere Wahrnehmung von dem, was Vielfalt im Jazz bedeutet, grundlegend verändert und erweitert. Seine Musik lässt sich als Appell hören, Pluralität neu zu erfahren und Pluralität neu zu leben.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 2005, S. 227). – Die 1989 erschienene Ausgabe des Jazzbuchs enthielt noch folgende kritische Aussage über den Musikerkreis um John Zorn: „In keiner Spielart des Jazz, mit Ausnahme vielleicht des West-Coast-Jazz in den 50er Jahren, waren weiße Musiker so sehr unter sich wie hier. In der Tat hat sich ja No Wave [gemeint ist die Musik des Musikkreises um Zorn] mit seinen krachenden, eckigen Rhythmen und seinen düsteren punk-inspirierten Sounds besonders weit vom Hauptstrom des Jazz und seinem Rückgrat – dem Blues – entfernt. Deshalb ist Noise Music [ein anderer Ausdruck für dieselbe Musik] aus der Sicht afroamerikanischer Musiker ‚square’: Weil sie die Lebensumstände nur schildert, diese aber nicht – wie das ein Hipster tun würde – schöpferisch in eine neue Qualität übersetzt und dadurch, worauf es schließlich ankommt, meistert.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 88) In der Jazzbuch-Ausgabe von 2005 war diese Aussage dann entfernt.
  14. John Zorn erklärte im Übrigen zu einer seiner Bands: „Vielleicht kommt Uri [ein Bandmitglied] ein bisschen mehr aus dem Jazz-Lager und Fred Frith [ein anderes Bandmitglied] ein bisschen mehr aus dem Rocklager. Jeder [der Musiker der Band] hat verschiedene Wurzeln. Ich habe mich immer mehr als klassischer Musiker verstanden. Aber die Musik, die daraus entstand, ist keine klassische Musik, sie ist kein Jazz und kein Rock. Es ist neue Musik. Aber wo wurde sie verhandelt? In Jazz-Magazinen. Und weil diese Musik fast immer ein Element von Improvisation enthielt, hieß es: Okay, wir schreiben die Rezension, wir machen dieses Interview mit Fred Frith oder John Zorn. Auch wenn es da eigentlich nicht hingehört. Das hat ein großes Missverständnis über unsere Musik entstehen lassen. Die Leute haben die Musik an Jazz-Parametern gemessen. Ich spiele beim Marciac Jazz Festival, weil ich nirgends sonst spielen kann.“ (QUELLE: Zeitschrift Jazzthing, Nr. 78, 2009, S. 52)
  15. QUELLE: Zeitschrift Jazzthing, September 2009, S. 40f.
  16. aufgelassene Lagerhallen und Kleinindustriegebäude in New York, die Musiker in den 1970er Jahren als Wohnung, Proberäume, Kommunikationszentren und Veranstaltungsorte nutzten
  17. QUELLE: Ekkehard Jost, Jazzmusiker, 1982, S. 84
  18. Der Leiter des Darmstädter Jazzinstituts, Wolfram Knauer, schrieb im Jahr 2002: Die Lage der deutschen Jazzszene sei unter anderem deshalb schwierig, „weil zu dieser Musik als einer kreativen Kunst offenbar weitaus mehr Künstler finden als Publikum. Ich habe an anderer Stelle einmal gefordert, dass Fördermittel im Jazz durchaus auch in die Publikumsförderung gehen sollten. […] Die Anzahl an Hochschulen mit auf einen Abschluss zielender Jazzausbildung ist in den letzten zwanzig Jahren enorm angestiegen und mit ihnen natürlich auch die Zahl der Jazzstudenten und Jazzdiplomanden. Man mag sich fragen, wovon all diese Musiker einmal leben sollen, die sich da ihren Lebenstraum verwirklichen wollen. (QUELLE: Wolfram Knauer, Jazz und Gesellschaft, Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung, Band 7, 2002, S. 101f.) – Jazz-Publizist Wolf Kampmann: „Was kriege ich täglich speziell von deutschen Musikern geschickt, wo ich mir sage: Jungs, das ist ja alles schön und gut, aber es reicht nicht aus, dass man nichts dagegen sagen kann! Man muss doch etwas dafür sagen können! Es muss doch einen Grund geben, warum ich statt einer Miles-Davis- oder Pat-Metheny-CD nun gerade diese andere reinlege.“ (QUELLE: Zeitschrift JazzThing, Nr. 82, März 2010, S. 78)
  19. QUELLE: Ekkehard Jost, Jazzmusiker, 1982, S. 221
  20. Parkers Spitzname
  21. QUELLE: Arthur Taylor, Notes And Tones, 1993, S. 53, eigene Übersetzung
  22. QUELLE: Film Play your own thing. Eine Geschichte des Jazz in Europa von Julian Benedikt, 2006, eigene Übersetzung; Garbareks Aussage wird sowohl am Beginn als auch am Ende des Films wiedergegeben, offenbar als eine Kurzfassung der Botschaft des Films.
  23. In dieser Hinsicht ist aufschlussreich, wie Steve Coleman mit traditionellem Material arbeitete. Siehe dazu den Artikel Steve Coleman über traditionelles Material: Link

 

 

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