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Am Solospiel des deutschen Posaunisten Albert Mangelsdorff im Film Miles and More1) fällt zunächst sein zurückhaltender, weicher2) Posaunen-Ton auf, der im Gegensatz zum „Tailgate“-Stil steht, mit dem die Rolle der Posaune im Jazz begann: Der Ausdruck „Tailgate-Posaune“ stammt von der Straßenmusik New Orleans aus der Zeit der Anfänge des Jazz. Bands spielten oft auf Fuhrwerken (Band-Wagons) und dort war der Posaunist bei der Heckladeklappe (Tailgate) platziert, damit er genug Raum hatte, um den Zug seiner Posaune auszufahren. Für die damalige Spielweise waren raue, heiße Klänge charakteristisch und auf diese bezieht sich der Ausdruck „Tailgate-Posaune“, der bis in die Gegenwart gebräuchlich blieb.
Im frühen Jazz war die Posaune eines der drei Blasinstrumente, deren ineinander verschlungenes Spiel für diese Musik typisch war. Die Posaune spielte allerdings im Gegensatz zum Kornett und zur Klarinette weniger eine Rolle als Melodie-Instrument, sondern war mehr Teil der Rhythmusgruppe, denn sie betonte als eine Art Bass-Instrument die „Eins“ und die „Drei“ des Vierer-Rhythmus, verwendete dazu die Grundtöne der Akkorde und trug mit einzelnen rhythmisch verschobenen Akzenten und eingeschobenen, zusätzlichen Tönen zum Schwung der Musik bei.3) Sie verstärkte aber auch mit ihren expressiven Klängen den Sound der Melodie-Instrumente. Dazu war sie nicht zuletzt durch den Posaunen-Zug, der ein beliebiges Verschleifen der Töne ermöglicht, bestens geeignet. Der bekannteste Posaunist aus der damaligen Zeit war Kid Ory, der im Wesentlichen die ursprüngliche Rolle als rhythmisches und harmonisches Basis-Instrument spielte, wenn auch abwechslungsreich, mit kurzen Einwürfen, Offbeats, „shout-artigen Anheiz-Phrasen und heißem Ton.“4) Ory verwendete oft Glissandi5), Growls6) und Smears7) und war wegen seiner rauen, energiegeladenen Spielweise ein gefürchteter Gegner, wenn es zwischen Bands zum Wettstreit kam.8)
Mit dem alten New-Orleans-Jazz endete die Rolle der Posaune als Teil der Rhythmusgruppe und ihr expressives Klangpotential kam nun in den Blechbläsersätzen der Bigbands sowie verstärkt auch in Soli zum Tragen. Der Posaunist Joe „Tricky Sam“ Nanton, der von 1926 bis 1946 im Orchester von Duke Ellington spielte, brachte eine bis heute beeindruckende Fülle von stimmähnlichen Lauten hervor. Diese Kunst des Spiels mit Klangfarben verlieh seinen Soli, die meistens nur aus ein paar Noten bestanden9), eine eindringliche Wirkung und passte somit ideal in das Konzept des Orchesterleiters Ellington, der ein großartiger musikalischer „Maler“, ein Meister der Klangfarben-Gestaltung war.10)
In der Musik, die der Bebop-Musikerkreis in den 1940er Jahren entwickelte, lag das Schwergewicht hingegen weniger auf der Farbgestaltung als auf gewandten, raffiniert strukturierten, schnellen, schlanken Melodielinien. In diesem Rahmen hätte die Spielweise Nantons plump und harmonisch, melodisch sowie rhythmisch simpel gewirkt. Für die im Vergleich zur Trompete und insbesondere zum Saxofon nun einmal schwerfällige Posaune, deren Stärke mehr die Klangfarbe ist, ergaben die Entwicklungen der Bebop-Bewegung somit ein Problem. Der Posaunist Steve Turre erläuterte: „Dann geschah die große Veränderung. Bird11) und Diz12) kamen daher und ihre Musik war technisch so anspruchsvoll, so schwierig, besonders für die Posaune […], dass nur EIN Posaunist mit Bird und Diz mithalten konnte, und das war J.J. Johnson. Während es also zuvor das ganze Feld von Posaunen gab, in den Bigbands etwa […], konnte nun auf einmal nur mehr ein Kerl mit diesen Typen mithalten. So verlagerte sich der gesamte Schwerpunkt zu Trompete und Saxofon.“13)
Was die Rolle der Posaune in dieser Musik der schnellen, wendigen, komplizierten Linien problematisch machte, war allerdings nicht nur die Notwendigkeit großer Virtuosität (die dann auch andere Posaunisten erwarben): Das schnelle Spiel verlangte eine erhebliche Verminderung der klanglichen Expressivität. Johnsons Ton war zwangsläufig relativ sanft, weitgehend gleichförmig, ohne Glissandi und Growls, auch nahezu ohne Vibrato.14) All die Mittel der Klangfarben-Gestaltung, mit der die Posaune im Jazz zuvor beeindruckte, mussten also aufgegeben werden, ohne dass die Posaune jedoch die besondere Eignung des Saxofons und der Trompete für das Spielen wendiger Linien gewann. Ihr Klang ist weniger klar konturiert, sodass sie selbst bei sehr virtuosem Spiel eher verschwommene Pinselstriche als scharfe Linien produziert und bei schnellen Läufen wie undeutlich artikuliertes Sprechen klingt, wie die bloß angedeuteten Bewegungen eines schwerfälligen Tänzers, nicht wie die eleganten, akkuraten eines Michael Jackson. Die Posaune blieb daher im Spiel schneller Linien gegenüber dem Saxofon an Ausdruckskraft hoffnungslos unterlegen, wie zum Beispiel im Stück Teapot15) (1949) zu hören ist: So virtuos J.J. Johnson auch spielt, so zeigt das abrupt hereinbrechende Tenor-Saxofon von Sonny Stitt mit seinem scharfen Ton doch, um wie viel klarer, eindringlicher und mitreißender die schnellen Linien von einem Saxofon gespielt werden können.
J.J. Johnson sicherte zwar der „Posaune eine Position im modernen Jazz“16), machte die Posaune „quasi im Alleingang“ zu einem Instrument, das für „ausgedehntes Solospiel hervorragend geeignet ist“17), und gilt deshalb manchem als „vielleicht wichtigster Posaunist aller Zeiten“18), aber er erreichte doch nicht die Ausdruckskraft eines Charlie Parkers oder John Coltranes. Nachdem sich Johnson im Jahr 2001 das Leben nahm, entstand das Gerücht, er habe das aus Enttäuschung darüber getan, dass er im kurz zuvor erschienen Film Jazz. A History of America's Music von Ken Burns nicht erwähnt wurde. Johnson litt allerdings schon seit längerem an Krebs und das Gerücht scheint eher im Ärger etlicher Musiker, selbst im Film übergangen worden zu sein, seine Wurzeln zu haben.19) Dass Johnson im Film nicht vorkommt, ist durchaus verständlich, denn er spielte mehr unter den Posaunisten eine herausragende Rolle20) als im Jazz insgesamt.
Mangelsdorffs Ton im oben erwähnten Solo ist mindestens ebenso sanft wie der von Johnson, doch haben seine Melodielinien einen ganz anderen Charakter: Zu Beginn seines Solos vermindert Mangelsdorff mit einigen tastenden und langgezogenen Tönen den ohnehin geringen Schwung der Band, so als würde ein Redner mit betont ruhiger, langsamer Sprechweise beginnen, um zu Aufmerksamkeit aufzufordern. Eine solche Taktik ist im Jazz durchaus üblich, vor allem wenn ein hitziges Solo eines anderen Bandmitgliedes vorangegangen war, was bei Mangelsdorffs Stück allerdings nicht der Fall war. Auch ermöglicht ein ruhiger Beginn eine spannende Intensitätssteigerung. Mangelsdorffs Solo wird allerdings im weiteren Verlauf nur wenig intensiver und kommt am Ende mit ein paar weit auseinander liegenden Tönen fast zum Stillstand. – Es gibt von Mangelsdorff aus der damaligen Zeit (1960er-Jahre) durchaus auch etwas bewegtere Improvisationen, zum Beispiel sein Solo in Zores Mores (1968), das er noch in den 1990er Jahren als eines seiner besten bezeichnete21), doch war der Charakter einer zurückhaltenden, konzentrierten, überlegten musikalischen Gestaltung typisch für seinen Stil. Man kann nicht sagen, er swingte nicht (oder nie), aber er spielte nicht in einer aus lockerem Bewegungsgefühl heraussprudelnden Art, wie sie für die Musiker des Bebop-Kreises, dem Johnson angehörte, charakteristisch war. Mangelsdorffs Stärke war nicht so sehr das für die Jazz-Tradition typische Spiel mit der rhythmischen Bewegung und dem Bewegungsgefühl. Er war mehr ein interessanter Erfinder als ein brillanter Tänzer auf seinem Instrument. Das entsprach seinem persönlichen Charakter sowie seiner kulturellen Herkunft und es war ihm sehr wichtig, seine eigene, originelle Richtung zu verfolgen.22) Gerade dadurch schuf er sich „als europäischer Exote einen gewissen Status“23) und wurde zum „Synonym für den deutschen Beitrag zum internationalen Jazz“24).
Die Entwicklungen, die unter dem Begriff Free-Jazz zusammengefasst werden, verschoben das Schwergewicht wieder mehr von den Linien zu den Klangfarben, zum Teil sogar in extremem Maß. So kamen auch im Posaunenspiel wieder raue, expressive Klänge zum Einsatz, und zwar auch in Stilrichtungen, die nach der Free-Jazz-Phase ein „freieres“ Spiel mit älterer afro-amerikanischer Tradition verband. Der Posaunist Craig Harris ist ein Vertreter dieser Richtung. Eine seiner Bands nannte er Tailgater’s Tales und damit bezog er sich auf das Spiel der Frühzeit des Jazz. Auch Einflüsse aus anderen Jazz-Stilen, aus Rhythm & Blues, Gospel, Funk und sogar das Didgeridoo-Spiel der australischen Aborigines integrierte er in seine groovende Musik, der er mit ausdrucksstarken, oft stimmähnlichen Klängen eine eindringliche Wirkung verlieh. Für den Vorrang des Sounds gegenüber den melodischen Linien ist seine folgende Aussage bezeichnend: Was ihn besonders beschäftige, sei „nicht-linear zu spielen. Die Posaune hat einen Zug, sie hat eine Luftsäule. Diese Luftsäule ermöglicht eine nicht aufgeteilte Quelle des Klanges. Mit all den Zwischentönen, die man dabei hat, kann man sehr bedeutsame Dinge tun […]. Ich denke bei der Posaune mehr an einen zirkulierenden Sound, der Klang ist vergleichbar mit den Wellenbewegungen des Ozeans.“25)
Der aus den Südstaaten stammende Wycliffe Gordon spielt hingegen in einem traditionellen Stil, der den Intensitäts- und Expressivitäts-Kult afro-amerikanischer Volksmusik, insbesondere des Gospels, mit der Kunst des Jazz-Posaunenspiels auf organische und besonders virtuose Weise verbindet.
Robin Eubanks ging es um „eine neue Sprache auf der Posaune, harmonisch und rhythmisch. Da war immer die reine straight ahead diatonische Musik, die Jay Jay [Johnson], Slide [Hampton], Curtis [Fuller] und Al Grey spielten, oder die wirklich ausgefallene von Roswell Rudd, Craig Harris und Ray Anderson. Und da gab es ein großes Mittelfeld, das unvermessen blieb, dieses große Niemandsland der Posaune, mit dem sich keiner richtig befasste. Ich transkribierte eines der Soli von Wayne Shorter, und dieses eröffnete mir wirklich die Art von Harmonik, die ich in seinem Spiel hörte und mit der sich Saxofon, Trompete und Klavier seit einer Weile befassten, aber noch nie jemand auf der Posaune.“26) Robin Eubanks verfügte einerseits in der Gestaltung seiner Linien über „große Souveränität und harmonisches Abstraktionsvermögen“27) sowie über „enorme Fähigkeiten im rhythmischen Bereich“28) und andererseits nutzte er auch die klangliche Ausdruckskraft der Posaune. So brachte er die spezifischen Stärken der Posaune in einer modernen, musikalisch anspruchsvollen und den Qualitäten der Jazz-Tradition entsprechenden Weise zur Geltung.
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